Märchenhaft

Märchenhaft

Oh, Spieglein, Spieglein an der Wand,
ich bin gestürzt von meinem Thron.
Sag, hat das Schicksal mich verdammt?
Er ist hinfort, seit Stunden schon.

Des Nachts gab er den Apfel mir,
von Lug und Trug so bittersüß,
doch ich war blind vor Lieb' und Gier,
und nun ist mein Gram bodenlos.

Leg mich in einen gläsern' Sarg,
ein Turm im Kreis von Dornenhecken,
die nie ein Prinz bezwingen mag,
um mich mit einem Kuss zu wecken.

Und ach, wie gut, dass niemand weiß,
auf allen Dornen liegt ein Fluch.
So trifft's den Kühnen tödlich heiß,
der mit Gewalt es hier versucht.

Nach hundert Jahren ward es dann,
als ein Frosch zu mir kommen wollt',
der war ein junger Ehrenmann,
und Mut und Klugheit war'n ihm hold.

So rief er frisch zu mir hinauf:
„Rapunzel, lass dein Haar herunter!“
Ich hörte ihn und wachte auf.
Der Frosch war heil, gesund und munter.

Doch kaum sah ich die Haut, so grün,
da schickte ich ihn wieder fort,
weit, hinter sieben hohe Berge,
bis zu des Frosches Heimatort.

Auch sieben Zwerge und ein Biest
versuchten bald des Frosches Trick.
Doch ich war eine Eisprinzessin
und schickte alle wieder weg.

„Dies Schuhwerk ist mir viel zu groß.
Das Schuhwerk ist mir viel zu klein.
Und dies sieht nicht sehr edel aus.
Zu Fröschen sag ich immer Nein.

Oh, Spieglein, Spieglein, sage mir,
warum nur bin ich so allein?
Warum nur könn'n die Frösche hier
nicht schöne, junge Prinzen sein?“

Der Spiegel sprach: „Du bist verflucht.
Du fühlst nicht, schaust nur, siehst den Schein.
Doch wer nicht mit dem Herzen sucht,
der wird nie wirklich glücklich sein.“

Verschlossen blieb mir da der Sinn.
„Auf meinen Prinzen wart' ich doch!“
Und wenn ich nicht gestorben bin,
dann warte ich auch heute noch.