Eigene Geschichten Forum
Würden Sie gerne auf diese Nachricht reagieren? Erstellen Sie einen Account in wenigen Klicks oder loggen Sie sich ein, um fortzufahren.
Eigene Geschichten Forum

Ein Forum für eure eigenen Geschichten.
 
StartseiteSuchenNeueste BilderAnmeldenLogin

 

 Manfredo's Tagebuch: 19. Kapitel

Nach unten 
2 verfasser
AutorNachricht
Faules_Kätzchen
Buchautor
Buchautor
Faules_Kätzchen


Anzahl der Beiträge : 998
Alter : 28
Ort : Irgendwo in Norddeutschland
Anmeldedatum : 26.11.10

Manfredo's Tagebuch: 19. Kapitel Empty
BeitragThema: Manfredo's Tagebuch: 19. Kapitel   Manfredo's Tagebuch: 19. Kapitel EmptyDo Apr 28, 2011 11:51 am

Ankunft auf Mallorca
Montag,
den 22. Juni
2009
Fast hätte ich heute verschlafen. Der Wecker, den ich mir extra „gekauft“ hatte (Tom Nook wollte anscheinend immernoch kein Geld von mir annehmen), war wohl kaputt und klingelte sehr leise. Na, von Nooks Laden war ich ja schlechte Qualität gewohnt. Ein Glück, dass ich von allein früh genug aufwachte. Mithilfe des antiken Telefon in unserer Bruchbude, mit dessen Wählscheibe ich erstmal zurecht kommen musste, bestellte ich mir ein Taxi; dann zog ich mich schnell an, schnappte mir die Plastiktüten mit den restlichen Donuts, meinem Geld und der Kleidung und richtete meine Frisur notdürftig mit Wasser. Ich dachte dabei missmutig, dass ich wirklich ganz, ganz dringend Haargel brauchte, als es auch schon an der Tür klingelte.
Fast hätte ich mich geweigert, einzusteigen, als ich sah, wer das Taxi fuhr: der entsetzliche Harald! „Von wegen deine Freundin suchen!“, grinste er, während ich widerstrebend auf den Rücksitz kletterte. „Du suchst gar Keinen, du willst nur Urlaub machen!“ Er ließ den Motor an und fuhr los. „Tja, mir machst du nicht so leicht was vor, weißt du, ich bin schließlich nicht dumm. Aber mach dir nichts draus, Urlaub ist ja keine Schande, da kann man sich wenigstens mal erholen, könnte ich auch gut gebrauchen, bei dem stressigen Job. Alle Leute, die vorbeikommen, haben es immer so eilig... Versteh ich gar nicht, wo man doch immer so schön plaudern könnte... Sag mal, du willst doch zum Flughafen, oder?“
„Ja“, sagte ich überrascht. Hatte ich das noch gar nicht erwähnt?
„Jaja“, zähnefletschte er mir über den Rückspiegel zu. „der Flughafen, das hab ich mir schon gedacht. Da will die Jugend von heute immer hin, das hab ich mir gemerkt. Du bist schon der dritte in diesen Ferien, der da hin will. Die erste war eine Dame namens Olivia, ganz hübsches Ding, hätte mir auch gefallen, aber sie erzählte mir, dass sie mit einem Typen namens Hasso zusammen wäre. Komischer Name, wenn du mich fragst, hört sich an wie ein Hund. Ich hab jedenfalls gehört, dass sie diesen Hasso ihrer besten Freundin Sissi ausgespannt hat, und die hat daraufhin Selbstmord begangen, kannst du dir das vorstellen?“ Wieder schaute er mich zu meinem großen Leidwesen durch den Rückspiegel an. Der sollte lieber auf die Straße achten und ein bisschen schneller fahren, sonst verpasste ich noch meinen Flieger!
„Ach ja, die Mädchen mit ihren Affären... wo wir gerade dabei sind: Regina hat zwar immer behauptet, dass sie keinen Freund will, der ihre Blumen kaputt macht; aber weißt du was, sie hat schon einen! Der heißt Siggi und ist so stark, dass er ungelogen so zweihundert-Kilo-Hanteln bei sich rumliegen hat, und stell dir vor, einmal hat er so ein Teil auf Reginas Begonien fallen gelassen! Ist das nicht entsetzlich? Der arme Siggi, ich meine, es war ja keine Absicht, doch Regina hat einfach mit ihm Schluss gemacht! Wie ich gehört habe, hatte Regina jedoch heimlich noch einen Freund, der heißt Armin und hat immer behauptet, nur ihr Schulfreund zu sein. Ha, wer's glaubt, wird selig! Der Bruder des Kollegen meines Freundes hat sie mit eigenen Augen knutschen gesehen! Tja, nur dumm, dass Siggi das auch gesehen hat, der hat sich nämlich sofort mit Armin angelegt, doch stell dir vor: dieser kleine, schmächtige Armin – ich bin mir sicher, dass er früher zu wenig zu essen bekommen hat – hebt diesen Muskelprotz einfach hoch und wirft ihn in den Fluss! Das hat Siggi natürlich nicht überlebt, denn ich sag dir, damals waren es ungelogen minus 30 Grad draußen. Und Regina war daraufhin so deprimiert, dass sie Selbstmord begangen hat, und Armin lebt seitdem in Depressionen. Sehr traurige Geschichte, wirklich sehr tragisch, das Alles...“
Dafür, dass er ständig beteuerte, wie tragisch das Alles war, schien er immernoch erstaunlich gut gelaunt, und ich war mir nicht sicher, ob ich auch nur irgendetwas von diesen haarsträubenden Geschichten glauben sollte. Aber eigentlich interessierten mich die Liebesgeschichten irgendwelcher Alltagshelden nicht die Bohne, solange ich rechtzeitig am Flughafen ankam. Gerade wollte ich ihn bitten, etwas mehr aufs Gas zu gehen, als er sich zu meinem großen Schreck zähneblitzend komplett zu mir umdrehte. Mamma mia, der sollte doch nicht dauernd zu mir glotzen, sondern auf die Straße!
„Und weißt du, was das Traurigste ist?“, fragte er höchst amüsiert. „Der Cousin eines Kumpels von mir kennt Einen, der ist in einer anderen Stadt Stadtwächter, und von dem habe ich heute morgen brühwarm eine brandneue Story erfahren. Stell dir vor, da gibt es ein Mädchen namens Vanessa, soll übrigens sehr hübsch sein, hätte mir gefallen, wenn sie nicht so aufgelöst gewesen wäre - Oh, wir sind ja schon da! Oder hast du noch etwas Zeit?“
„Wo hat er Vanessa gesehen?“, fragte ich sofort. Mein Flieger ging zwar schon in einer Viertelstunde, aber wenn Harald mir sagen konnte, wo Vanessa war...
„Oh, wie schön, dass du noch ein wenig plaudern willst. Hast wohl Gefallen an meinen Geschichten gefunden, was?“ Harald grinste wieder selbstgefällig. „Verständlich, sag ich nur, doch Viele erkennen nicht den Reiz solcher Stories, so abgefahren sie auch manchmal sind...“
„Ja, und in welcher Stadt ist Vanessa jetzt?“, hakte ich ungeduldig nach und stieg schon mal aus, da ich wohl gleich losflitzen musste. Harald kurbelte das Fenster runter und grinste. Wieso sagte er es mir nicht einfach?
„Sie behauptete, sie suchte nach ihrem Freund. Aber ich bin mir sicher, sie wollte auch nur in den Urlaub fahren. Scheint zur Zeit in Mode zu sein, solche wilden Geschichten zu erfinden. Aber immerhin hat sie besser geschauspielert als du, muss ich zugeben, da solltest du nochmal dran arbeiten. Richtig viele Tränen vergossen hat sie...“ Ein Hupen hinter ihm unterbrach seinen Redefluss zeitweilig. Ich nutzte diese Unterbrechung und fragte erneut zunehmend verzweifelt: „Ja, okay, aber wo - ?“
Harald zeigte dem Fahrer hinter sich den Stinkefinger und wandte sich dann breit grienend wieder an mich. „Scheint, als müsste ich mich diesmal etwas kürzer fassen, wenn du darauf bestehst, die Geschichte bis zum Ende zu hören.“
„Ich möchte einfach nur - “
„Nein, hör einfach zu und unterbrich mich nicht, dann sind wir schneller fertig.“, fuhr er mir dazwischen. „Nun, dieses arme Mädchen hörte einfach nicht auf, zu weinen und erzählte etwas von einem Erdbeben... Total verwirrt, wenn du mich fragst. Ich hätte sie in eine Psychiatrie geschickt, das arme Ding war total traumatisiert, wahrscheinlich, weil ihr Freund sie verlassen hat. Tja, und dann -“
Erneut wurde er von einem zornigen Autohupen unterbrochen. Hinter dem Taxi standen nun schon fünf Autos Schlange.
„Dann?“, wiederholte ich atemlos.
„Ähm... wo war ich stehen geblieben... ja, dann war es schon zu spät für jede Rettung und aus lauter Liebeskummer hat sie sich geritzt und ist dabei verblutet. Und jetzt muss ich wirklich Schluss machen, ich weiß, du willst noch mehr hören, ein Andernmal, ja?“
„Jetzt sag mir doch noch -“
„Nein, keine weiteren Fragen, die kannst du mir später stellen. Schluss für heute.“
Bevor ich etwas erwidern konnte, hatte er schon das Fenster hochgefahren und brauste davon. Ich spürte eine ohnmächtige Wut in mir hochsteigen und ballte die Hände so fest zu Fäusten, dass sich meine Fingernägel in die Handflächen gruben. Fast wäre ich dem Taxi hinterher gerannt, hätte diesen Harald am Kragen gepackt, ihm dieses falsche schmierige Lächeln aus dem flachen Gesicht gewischt und die Wahrheit aus ihm herausgeschüttelt. Doch in zehn Minuten musste ich bereits im Flugzeug sitzen. Am Liebsten hätte ich vor Zorn geschrien, aber stattdessen sprintete ich durch den Bahnhof, stieß allerlei Leute mit meinen Plastiktüten um, die beim Einchecken misstrauisch beäugt wurden; dann zog sich das auch noch so lange hin, weil ich vergessen hatte, meinen Gürtel aus der Hose zu nehmen und die Sicherheitsfreaks jetzt anscheinend glaubten, ich hätte ein Messer versteckt, um auf der Reise den Piloten zu meucheln und den Flieger ins Mittelmeer stürzen zu lassen.
Als sie mir endlich glaubten, weder eine Waffe dabei zu haben, noch ein blutrünstiger Terrorist zu sein, hatte ich nur noch wenige Minuten bis zum Abflug. Im Schweinsgalopp stürmte ich ins Flugzeug. Ich war der letzte Passagier, der noch fehlte, abgesehen von einem Typen, der in Überlebensjacke und mit einem Rucksack, der fast so groß war wie er selbst, ebenfalls mit glühender Birne hinter mir her an Bord rannte. Kaum hatte ich mich gesetzt, da kam auch schon die Durchsage, man solle sich bitte anschnallen. Kurz darauf hoben wir ab, in Richtung Süden, und ließen Wild World hinter uns. Allmählich beruhigte sich mein Atem wieder, nicht aber meine Gedanken. So viele Fragen schwirrten mir durch den Kopf: Hatte Harald wirklich etwas von Vanessa gehört oder war das ein ganz anderes Mädchen? In welcher Stadt mochte sie nur sein? Und war an der Sache mit dem Selbstmord wirklich etwas dran? Selbst wenn in dieser Geschichte auch nur ein Körnchen Wahrheit steckte, war das schon beängstigend genug. Ich zweifelte nun ernsthaft daran, ob meine Reise nach Mallorca wirklich eine gute Idee war.

Zwei Stunden, ein Glas Cola und einige Donuts später gingen wir endlich in den Landeanflug. Der Anblick der sonnenüberfluteten Insel und dem glitzernden Meer besserte meine Laune im wahrsten Sinne des Wortes gegen meinen Willen. Ach, wie schön wäre es doch, diesen Urlaub gemeinsam mit Vanessa zu verbringen! Was sie wohl gerade tat? Dachte sie auch an mich?
Das Flugzeug setzte butterweich auf der Landebahn auf. Nach und nach bremste es ab, bis wir stehen blieben. Ich schnallte mich vom Sitz los und trat hinaus ins Sonnenlicht. Eine Welle heißer Luft schlug mir entgegen. Wie warm es hier doch war! Und diese vielen Palmen! Es erinnerte mich an Zuhause. Dort in Manfredonia saßen Mama, Papa und Maria bestimmt am Wasser und aßen Eis oder gingen schwimmen...
Ich musste mir eingestehen, dass ich jetzt, da ich endlich auf Mallorca war, fast lieber bei ihnen gewesen wäre. Doch das war hirnlos, ich hatte mir doch immer so sehr gewünscht, einmal hierher zu kommen! Das würde der beste Urlaub meines Lebens werden, und damit basta. Den ließ ich mir nicht von albernem Heimweh oder Sorgen um Vanessa verderben.
An der Gepäckausgabe holte ich meine Plastiktüten ab, die wie beim Einchecken alle Blicke auf sich zogen (als hätten die Leute noch nie Plastiktüten gesehen!), als jemand hinter mir plötzlich meinen Namen rief. Ich drehte mich um – Onkel Fernando, mit offenem Hemd und britzebraun wie immer, winkte mir zu. „Willst du nicht auch deinen Koffer mitnehmen, Manfredo?“, fragte er.
„Ich habe keinen Koffer“, antwortete ich und wünschte im selben Moment, ich hätte es nicht getan, denn alle Leute in Hörweite beäugten mich jetzt so mitleidig, als hielten sie mich für einen armen Straßenpenner. Mit glühenden Ohren und gesenktem Kopf ging ich zu dem verblüfften Fernando und erklärte etwas leiser: „Ich hab durch ein dummes Unglück all meine Sachen verloren. Ist 'ne lange Story. Jedenfalls ist alles, was ich noch habe, hier drin.“
Seine Verblüffung wandelte sich in Bestürzung. „Oh... das tut mir leid... wenn ich das gewusst hätte, hätte ich dir doch schon neue Klamotten gekauft...“
„Ach, passt schon, das ist ja kein Weltuntergang.“, beteuerte ich schnell, denn auf Onkel Fernando als Modeberater konnte ich echt verzichten. Der meinte ja sogar, dass Achselhaare noch „in“ seien.
Onkel Fernando führte mich zu seinem verbeulten Kleintransporter. Den Stellen nach zu schließen, wo der Lack noch nicht abgekratzt und verrostet war, hatte er mal eine orange-rote Farbe gehabt. „Keine Sorge, die alte Kiste fährt noch sehr zuverlässig!“, lachte er, als er meinen skeptischen Gesichtsausdruck bemerkte. „Aber wenn das neue Restaurant erstmal richtig läuft, können wir uns endlich ein neues kaufen. Und einen Teil des Erfolgs liegt in deinen Händen, Manfredo.“ Er stieg ein und ich kletterte auf den zerschlissenen Beifahrersitz. „Ist es eigentlich okay für dich, wenn ich dich Freddy nenne? Manfredo ist immer so lang...“
„Jaa, ist schon in Ordnung.“, stimmte ich widerwillig zu. Welchen Sinn würde es auch machen, sich ihm jetzt gleich am Anfang zu widersetzen? Wenn er mich unbedingt so nennen wollte, dann bitteschön; er blamierte sich ja damit, nicht ich.

Etwa eine halbe Stunde später hielt Onkel Fernando's alte Schrottkiste knatternd und röhrend vor einem dreistöckigen, grau-weißen Gebäude. An einem kleinen, kreisrunden Swimmingpool davor, der nur durch einen Maschendrahtzaun von den Parkplätzen abgetrennt war, lagen zwei dicke, krebsrote Frauen auf Plastikliegestühlen in der Sonne.
„Mensch, ziemlich stürmisch heute!“, bemerkte Fernando, als er ausstieg und ihm eine Windböe die Haare zerzauste.
„Ist das... das... Hotel ?“, fragte ich ungläubig und hielt meine Haare fest. Ich brauchte ganz dringend Haargel!
„Yep.“ Er knallte den Kofferraum zu und drückte mir die Tüten in die Hand. „Sorry, ist vielleicht nicht gerade ein Vier-Sterne-Hotel, aber du wirst ja sowieso die ganze Zeit am Strand sein. Da kann dir der Pool doch egal sein.“
Sollte das ein Witz sein? Wenn ja, dann war es ein ziemlich schlechter. Er konnte wohl nicht ernsthaft verlangen, dass ich hier meine Ferien verbrachte!
Doch der aufmunternde Blick, den er mir zuwarf, bevor er beschwingten Schrittes zur Gitterpforte der Anlage wackelte, machte mir klar, dass er es ernst meinte. Ich seufzte leise und folgte ihm. Onkel Fernando sollte sich wirklich mal abgewöhnen, immer alles Mögliche zu organisieren, ohne die Betroffenen vorher nach ihrer Meinung zu fragen.
Fernando drückte auf die schmierige Klingel und zwinkerte mir zu. Ich zwang mir ein halbherziges Lächeln auf. „Lass mich das mit der Anmeldung einfach erledigen, okay?“, sagte er. Im nächsten Moment schnarrte eine überfreundliche Frauenstimme aus der Gegensprechanlage: „Guten Tag, Beachhotel Cala Major. Was kann ich für sie tun?“
„Hi, hier Fernando Cuidado mit meinem Neffen Manfredo Zimmermann; ich habe vor Kurzem ein Zimmer für ihn reserviert.“
„Vielen Dank. Bitte holen sie sich ihre Zimmerschlüssel an der Anmeldung am Eingang des Hotels ab. Unser freundliches Beachhotel-Team steht ihnen bei weiteren Fragen jederzeit zur Verfügung. Genießen sie ihren Urlaub!“
Die Tür gab einen hässlichen, summenden Ton von sich und Fernando drückte sie auf. Die rostigen Angeln quietschten. „Nach dir.“, sagte er und hielt mir die Tür auf. Wir passierten den Pool, der immerhin tiefer als einen Meter zu sein schien und in dem etwas Laub schwamm; die schwabbeligen Quallen, die aus den Liegestühlen quollen, verfolgten uns mit ihrem sonnenbrillenbewehrtem Blick bis zum Hotelgebäude. Der blaue Schriftzug über der Eingangstür war schon leicht ausgeblichen und schälte sich von der Mauer. Diese Hotelanlage gefiel mir immer weniger.
Wir traten ein, Fernando ging voraus und öffnete mir wieder die Tür, doch diesmal hielt ich sie selbst offen. Schließlich war ich kein Mädchen.
Schnell checkte ich die Umgebung: wir befanden uns in einer kleinen Eingangshalle mit niedriger Decke, an der ein kleiner, relativ schlichter und mit Spinnweben verhangener Kronleuchter hing. Links von der Eingangstür gab es einen Schalter mit einer Glaswand davor, durch die Onkel Fernando nun mit einer gequält lächelnden Angestellten sprach, die ein geschmackloses blau-weißes T-shirt trug.
Hinter einer Glastür geradeaus konnte man ein Treppenhaus erkennen, wogegen hinter der ebenfalls gläsernen Tür in der rechten Wand allem Anschein nach eine Art Kantine lag. Als ein großer, schlaksiger Mann mit korrekter Frisur und noch korrekterem Anzug heraus eilte und im Treppenhaus verschwand, wehte Essensduft heraus. Augenblicklich machte sich mein Magen bemerkbar.
„Okay, Freddy, hier ist dein Zimmerschlüssel. Zimmer Nummer acht.“, sagte Fernando überflüssigerweise, denn als Schlüsselanhänger hing eine große Acht aus schmuddelig weißem Plastik daran. „Nicht verlieren. So, dann bring mal deine Sachen schnell hoch, damit wir endlich essen gehen können.“
„Wir ? Wieso, isst du auch hier?“
„Nein, nein, wir gehen natürlich ins Bella Italia! Was dachtest du denn? Ich hab doch für dich nur Halbpension gebucht.“, erklärte er, als wäre es die selbstverständlichste Sache der Welt.
„Oh... okay, wenn das so ist...“ Etwas enttäuscht ging ich mit dem Gepäck ins kühle Treppenhaus und machte mich an den steilen Aufstieg. Hatte ich jemals gesagt, dass ich keine Vollpension wollte? Das wäre doch viel praktischer gewesen, als jeden Tag extra im Restaurant aufzukreuzen! Wer weiß, wie weit man von hier aus dorthin lief! Oder war Vollpension etwa schon wieder zu teuer?
Wütend auf meinen Onkel, weil der mich einfach nie selbst entscheiden ließ, und gleichzeitig mit einem kleinen Schuldgefühl im Bauch, da ich ihm ja eigentlich dankbar für diese gesamte Reise sein sollte, passierte ich die Türen zum Waschraum, Herren- und Damentoiletten sowie den Zimmern Eins bis Sieben. Vor der Tür mit der schlichten Aufschrift Nr.8 blieb ich stehen und öffnete sie mit einem unguten Gefühl im Bauch. Ich fragte mich unwillkürlich, wie heruntergekommen das Zimmer wohl sein mochte. Als ich es betrat, stellte ich jedoch erleichtert fest, dass ich weder auf Heu und Stroh schlafen, noch das Zimmer mit Ungeziefer teilen musste. Es war zwar ziemlich klein, doch immerhin einigermaßen sauber und die Fenster noch heil. Außerdem hatte ich ja eh nicht so viel Gepäck dabei.
Nachdem ich wieder hinuntergegangen war, noch einmal mit knurrendem Magen die leckeren Düfte aus der Küche ertragen musste, mitbekommen hatte, wie die Empfangsdame von dem Mann im Anzug auf spanisch zur Schnecke gemacht wurde und ich von einem ungeduldig hin- und hertrippelnden Fernando in Empfang genommen worden war, brausten wir in dem klapprigen Geländewagen zur Küste. Die Fahrt kam mir länger vor, als sie wirklich dauerte, da ich mich mit einem immer stärker werdenden Hungergefühl herumquälte. Auch Fernando, der die ganze Zeit in einem spanisch-italienisch-deutsch-Mischmasch vor sich hinplapperte und seine Aufregung kundtat, ob es mir in Bella Italia wohl schmecken würde und ob der Laden gut laufen würde, machte die Fahrt nicht gerade kurzweiliger, zumal, da ich einen Großteil seiner Nuscheleien über den Motorlärm überhaupt nicht verstand. Gelangweilt lehnte ich mich aus dem heruntergefahrenen Fenster und der Fahrtwind zerzauste mir die Haare, doch meine Frisur war sowieso schon hinüber. Wir fuhren durch ein Küstenstädtchen und ich erhaschte einen Blick auf eine Gruppe Mädchen, die Einkaufstüten und Eiscreme mit sich trugen; eine von ihnen hatte lange, blonde Haare und ich verrenkte mir den Hals, um einen Blick auf ihr Gesicht zu erhaschen, doch natürlich war es nicht Vanessa.
„DA IST ES!“, unterbrach Fernando sich selbst so laut und so plötzlich, dass ich zusammenzuckte und mir den Kopf am Autodach stieß. Leise fluchend fuhr ich das Fenster wieder hoch und schnallte mich los, denn Fernando steuerte eine Parklücke an. Ich warf einen Blick auf das Restaurant. Es war ebenfalls weiß gestrichen (bisher hatte ich noch kein Haus hier auf Mallorca gesehen, das nicht weiß war) und hatte die Form eines Turmes ohne Dach. Stattdessen thronte oben eine geräumige Dachterrasse, die von einigen Leuten in weißen Schürzen gereinigt wurde. Mir den Kopf reibend kletterte ich aus dem Auto. Das wurde eine schöne Beule.
„Ist es nicht einfach traumhaft !“, schwärmte Fernando und bekam ganz feuchte Augen.
„Hmm.“, machte ich, ohne richtig hinzuschauen. Alles, was ich jetzt traumhaft fände, wären ein cooler Drink und eine große Pizza! „Gehen wir rein?“
„Jaja, natürlich...“
Ohne den Blick von dem Gebäude loszureißen, setzte sich Fernando langsam in Bewegung. Ich marschierte mit großen Schritten voraus, stieß die Drehtür zum Restaurant auf und setzte mich sofort an den nächstbesten freien Tisch, was nicht schwierig war, da noch keine anderen Besucher hier waren. „Scheint ja nicht besonders gut zu laufen, was?“, feixte ich, als Fernando endlich auch eintrat.
„Ach, Freddy...“, erwiderte er, ohne den träumerischen Ausdruck zu verlieren, „Du weißt doch, dass erst heute Abend die Eröffnung stattfindet. Aber für dich gibt es natürlich jetzt schon Was zu futtern. Hier, such dir einfach Etwas aus.“ Ungeschickt schleuderte er mir die Speisekarte zu.
Es gab wirklich leckere Sachen. Ich bestellte mir einen sogenannten Blue Drink, der tatsächlich blau war, und einen Teller Pasta nach Art des Küchenchefs, worüber Fernando besonders entzückt war, da er dieses Rezept selbst entworfen hatte. Es schmeckte echt nicht schlecht, besonders die Käsesoße, und obwohl ich danach eigentlich satt war, ließ es sich Fernando nicht nehmen, mir noch einen Eisbecher Gelato nach Art des Küchenchefs aufzuschwatzen. Diese Eigenkreation schmeckte mir jedoch nicht ganz so gut, da sie tatsächlich ziemlich eigenwillig war: Karamelleis mit Pfefferminzsahne. Fernando aber beteuerte mir etliche Male, er sei ganz verrückt danach.
Nach dem Essen lieh ich mir mit Fernando's Einwilligung seine Kreditkarte und ging shoppen. Ich kaufte mir einige coole neue Anziehsachen, ein neues Handy, einen MP3-Player und natürlich Haargel; ohne diese Dinge hätte ich sonst nicht mehr lange überlebt. Leider war Alles ziemlich überteuert, da hier so viele Touristen bummelten, doch ich war mir sicher, dass meine Eltern Fernando das Geld wiedergaben.
Alles in allem war der erste Ferientag also ganz cool, abgesehen von meiner hin und wieder aufflammenden Sorge um Vanessa. Die verschwand erst endgültig auf der Eröffnungsparty des Restaurants, denn da ging wirklich die Post ab. Es war rappelvoll mit heißen Partymiezen und Checkern, die wohl meinten, genauso cool zu sein wie ich.
Trotz meines Alters durfte natürlich nicht nur mit den Anderen abfeiern, sondern auch Fernando am DJ-Pult unterstützen. Allerdings hatte ich das Gefühl, dass der bullige Kochgehilfe, der kurzerhand zum Türsteher umfunktioniert worden war, seine Arbeit nicht ganz so gut machte wie ich. Er schien es nämlich mit dem Alter der Gäste nicht so genau zu nehmen und ließ nach einigem Hin und her auch ein paar Leute herein, die teilweise jünger waren als ich. Zu denen gesellte ich mich schließlich, als sie an der Bar hockten und alkoholfreie Cocktails schlürften.
Soweit ich das im blitzenden Licht der Diskokugel erkennen konnte, waren es zwei Jungen und drei Mädchen; der eine Junge hatte verstrubbelte dunkle Haare und war etwas dicklich, was ihn aber nicht davon abgehalten hatte, ein Muskelshirt anzuziehen; der andere Junge, der schon etwas älter war, trug ein schwarzes T-shirt mit einem weißen Totenkopf darauf und hatte wohl auch relativ dunkle Haare sowie eine schiefe Nase; die beiden waren schon einmal keine große Konkurrenz für mich, was das Aussehen anging.
„Hi!“, schrie ich ihnen über die Musik zu, „Seid ihr zum ersten Mal hier?“
Der Typ mit der schiefen Nase nickte. „Ja, und wie steht's mit dir?“
„Nee, ich war heute nachmittag schon da. Meinem Onkel gehört das Restaurant nämlich!“ Ich grinste nun den Mädels zu, die nach der Größe geordnet wie die Orgelpfeifen nebeneinander saßen. „Ich heiße Manfredo, und ihr?“
„Kennedy und Abby.“, stellten sich zwei von ihnen wie aus einem Munde vor. Sie mussten lachen. „Wir wohnen eigentlich in Irland.“, sagte die Größere von ihnen, die typisch irische rote Locken hatte.
„Wir sind im selben Hotel wie die Drei.“, ergänzte ihre Freundin mit einem Nicken in Richtung der anderen Kinder.
„Bernardo.“, stellte sich jetzt auch der Dicke vor, der eine verblüffend hohe Stimme hatte. Er nickte dem Kerl mit dem schwarzen T-shirt zu. „Und das ist mein Cousin Patrizio.“
„...mit meiner französischen Brieffreundin und Austauschpartnerin Isabelle.“, fügte Patrizio hinzu. Ein Mädchen mit braunen Haaren und einem langen Gesicht, die bisher nur gelangweilt an ihrem Strohhalm genuckelt hatte, schaute auf. Sie verzog ihre schmalen Lippen zu einem halbherzigen Lächeln. „'allo.“
„Nach wem hältst du Ausschau?“, fragte Patrizio Bernardo. Er musste grinsen. „Doch nicht schon wieder nach dem Mädchen aus dem dritten Stock?“
„Ach, halt die Klappe.“, murmelte der Dicke und wurde rot. Abby und Kennedy kicherten.
„Welches Mädchen aus dem dritten Stock?“, erkundigte ich mich.
„Niemand.“, behauptete Bernardo nachdrücklich, warf Patrizio einen warnenden Blick zu, stieg von seinem Barhocker und mischte sich unter die Feiernden auf der Tanzfläche. Kaum war er außer Sicht, beugte sich die rothaarige Abby näher zu mir und erklärte: „Bernardo hat sich in so eine Schicki-micki-Tusse verknallt, die ein Stockwerk über uns wohnt. Dabei hat er sie erst ein einziges Mal getroffen, und zwar im Speisesaal. Er meint, es sei Liebe auf den ersten Blick, aber naja...“
„Seitdem rennt er ihr jedenfalls hinterher.“ Kennedy kicherte erneut. „Er hat noch nicht einmal ihren Namen herausgefunden.“
„Ach so, kapito. Bernardo glaubte also, dass sie hier auf der Party erscheint.“, schlussfolgerte ich.
„Ja, er wollte sie unbedingt näher kennen lernen. Hat so lange gebettelt, bis ich ihm ein Shirt geliehen habe.“, sagte Patrizio und nahm die französische Unterhaltung mit Isabelle wieder auf.
„Steht ihm aber nicht besonders gut...“, rutschte es mir heraus. „Ich meine, er hat ja 'ne ganz andere Kleidergröße als du.“, fügte ich schnell hinzu, als Patrizio mir einen bösen Blick zuwarf.
Kennedy klatschte in die Hände. „Okay, wollen wir jetzt hier noch den ganzen Abend rumsitzen oder mal langsam wieder Gas geben?“, schlug sie vor.
„Klaro!“, stimmte ich sofort zu und verließ mit den Mädchen die Bar. Wir feierten die Nacht durch, bis Fernando geschockt feststellte, dass es schon viel zu spät für uns war (beziehungsweise zu früh, denn Mitternacht war längst vorüber), und uns nach Hause schickte. Ich begleitete die Drei noch bis zu ihrem Hotel – Patrizio und Isabelle durften ungerechterweise noch bleiben, da sie schon siebzehn waren - , welches wenigstens wie ein Hotel aussah, nicht so verfallen wie das Beachhotel. „Und was habt ihr morgen so vor?“, fragte ich.
„Wir gehen am Strand ein Eis essen und vielleicht auch schwimmen.“, sagte Kennedy. „Möchtest du mitkommen?“
„So sieht's aus, ich hab nämlich noch Nichts geplant. Wann treffen wir uns dann?“, fragte ich.
„Wie wär's um zwei Uhr nachmittags an der Eisdiele?“, schlug Abby vor. Kennedy, Bernardo und ich nickten zustimmend.
„Okey-dokey, Leute, dann bis morgen!“, sagte ich, hob nochmal ganz cool die Hand zum Gruß und schlenderte die dunkle Straße davon.
Nach oben Nach unten
https://www.youtube.com/user/Ananasbrause
BlackWhite
Buchautor
Buchautor
BlackWhite


Anzahl der Beiträge : 529
Alter : 27
Ort : Auf dem Weg zum Regenbogen
Anmeldedatum : 27.12.10

Manfredo's Tagebuch: 19. Kapitel Empty
BeitragThema: Re: Manfredo's Tagebuch: 19. Kapitel   Manfredo's Tagebuch: 19. Kapitel EmptyDo Apr 28, 2011 9:43 pm

I like!
Nach oben Nach unten
Faules_Kätzchen
Buchautor
Buchautor
Faules_Kätzchen


Anzahl der Beiträge : 998
Alter : 28
Ort : Irgendwo in Norddeutschland
Anmeldedatum : 26.11.10

Manfredo's Tagebuch: 19. Kapitel Empty
BeitragThema: Re: Manfredo's Tagebuch: 19. Kapitel   Manfredo's Tagebuch: 19. Kapitel EmptyFr Apr 29, 2011 12:27 am

Das freut mich! Very Happy
Kapitel 20 folgt in Kürze. Wink
Nach oben Nach unten
https://www.youtube.com/user/Ananasbrause
Gesponserte Inhalte





Manfredo's Tagebuch: 19. Kapitel Empty
BeitragThema: Re: Manfredo's Tagebuch: 19. Kapitel   Manfredo's Tagebuch: 19. Kapitel Empty

Nach oben Nach unten
 
Manfredo's Tagebuch: 19. Kapitel
Nach oben 
Seite 1 von 1
 Ähnliche Themen
-
» Manfredos Tagebuch: 5. Kapitel
» Manfredos Tagebuch: 4. Kapitel
» Manfredos Tagebuch: 2. Kapitel
» Manfredos Tagebuch: 1. Kapitel
» Manfredos Tagebuch: 6. Kapitel

Befugnisse in diesem ForumSie können in diesem Forum nicht antworten
Eigene Geschichten Forum :: Storys :: Sonstiges-
Gehe zu: