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 Manfredo's Tagebuch: 14. Kapitel

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Faules_Kätzchen
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Manfredo's Tagebuch: 14. Kapitel Empty
BeitragThema: Manfredo's Tagebuch: 14. Kapitel   Manfredo's Tagebuch: 14. Kapitel EmptyMi Apr 06, 2011 10:07 pm

Die Punker von Lekahall
Mittwoch,
den 20. Mai
2009
Ich wachte auf, weil mir schrecklich heiß war. Zum Einen, weil die Sonne blendend hell durch das Fenster auf mein Bett strahlte, zum Anderen, weil ich noch immer Vanessa im Arm hatte und mit ihr und den Süßigkeitentüten so fest in die Decke eingewickelt war, dass man schon Platzangst bekommen konnte. Ich zog und zerrte an der Bettdecke herum, wobei Süßigkeiten auf den Boden regneten, bis ich endlich meine Füße und meinen Oberkörper freigelegt hatte. Puh, schon besser. Ich nahm mir vor, nächste Nacht einen kurzärmeligen Schlafanzug anzuziehen.
Oder gleich in Unterwäsche zu schlafen.
„Manfredo?“, murmelte Vanessa und griff nach meiner Hand. Dann schlug sie die großen Augen auf. Verschlafen blinzelte sie mich an. Ich lächelte ihr liebevoll zu. „Guten Morgen, meine Kleine. Gut geschlafen?“
Sie gähnte zur Antwort ganz niedlich und nickte. „Bei dir doch immer. Und ich habe gar keine kalten Füße mehr.“
„Na, andernfalls würde ich mir auch ernsthafte Sorgen um dich machen! Wollen wir vielleicht nächste Nacht im Herzchenbett schlafen? Da haben wir mehr Platz.“
„Also, ich find's hier schön kuschelig...“
„Ja, das stimmt schon“ Ich senkte die Stimme, da Nici noch immer in ihrem Bett lag und uns belauschen könnte, „aber dann haben wir wenigstens ein ganzes Zimmer für uns! Und außerdem ist es dort doch viel romantischer, nicht wahr?“
„Also gut“, stimmte Vanessa zu, „dann nächste Nacht im Herzchenzimmer.“

Nachdem wir noch ein bisschen im Bett herumgelegen und Süßigkeiten gefuttert hatten, meinte Vanessa irgendwann, wir sollten doch lieber mal etwas „Richtiges“ zum Frühstück essen. Für mich machte es natürlich keinen wirklichen Unterschied, ob ich nun Nutellabrötchen oder Schokoriegel aß, aber die vorbildliche Vanessa wollte morgens nicht auf ihr Obst verzichten. Also gab ich schließlich nach, wir zogen uns an und gingen nach unten.
In der Küche fiel mir sofort auf, dass irgendetwas anders war als sonst, doch ich kam nicht darauf, was es war.
Egal, dachte ich, Frühstück geht vor. „Schau mal, Vanessa, Nici hat anscheinend neue Marmelade gekauft!“, rief ich, als ich den Kühlschrank öffnete. Vanessa stellte Tassen und Frühstücksbretter auf den Tisch.
„Welche Sorte denn?“, fragte sie.
„Drei Sorten“, antwortete ich, „Orange, Sauerkirsche und - oh, Himbeer-Vanille! Das ist doch genau das Richtige für dich, oder?“ Irgendwie schaffte ich es, die drei Marmeladen, das Nutellaglas und die bereits angebrochene Erdbeermarmelade gleichzeitig zum Tisch zu balancieren. Die Kühlschranktür stieß ich mit dem Fuß zu. Vanessa lachte. „Wieso gehst du nicht einfach zweimal?“, fragte sie, „Sonst fällt dir noch etwas runter!“
„Nee, Süße“ Ich stellte die Gläser auf der hölzernen Tischplatte ab, über die Vanessa eine weiße Tischdecke mit roter Rüschenborte ausgebreitet hatte. „Weißt du, ich riskiere lieber, alles fallen zu lassen, als doppelt zu gehen. No risk, no fun!“
„Wie du meinst.“ Wir setzten uns gegenüber an den Tisch, ich mit Blick aus dem Fenster. Ich runzelte die Stirn. Irgendetwas stimmte nicht mit diesem Fenster...
„Hier, Manfredo, ich habe Kräutertee gekocht. Möchtest du auch?“, fragte Vanessa.
„Kräutertee?“, wiederholte ich skeptisch. „Ich weiß nicht. Kann... ich den vielleicht erstmal bei dir probieren?“
Vanessa lächelte liebreizend. Ich hatte gar nicht mitbekommen, dass sie schon
Make-up verwendet hatte, doch Rouge, Maskara und Lipgloss saßen wie immer perfekt. „Selbstverständlich.“ Sie reichte mir die Teetasse mit Schmetterlingsmotiv und ich probierte einen Schluck. „Nicht schlecht“, sagte ich und ich meinte es ernst. Es schmeckte wirklich nicht schlecht, doch Latte Macchiato hätte mir um einiges besser gefallen. Da wir aber leider keine Espressomaschine hatten (und kein Espresso bedeutete kein Latte Macchiato), hatte ich mich mit einer morgendlichen Tasse heißer Schokolade angefreundet. Ich stellte die Teetasse wieder neben Vanessa's Brett, auf dem sie sich einen Apfel zurechtschnitt. „Ich will dir nichts wegtrinken, Kleine.“, erklärte ich. „Ich glaube, ich mache mir lieber einen Kakao.“
„Das bleibt dir unbenommen.“, antwortete Vanessa und schnippelte konzentriert weiter.
In dem Moment klingelte es an der Haustür. Aha, das waren bestimmt die Brötchen! Nici hatte nämlich ein Brötchenabo beim Nook organisiert, seitdem bekam sie jeden Morgen ein Brötchen und ein Schokohörnchen geliefert. Vanessa und ich hatten dabei natürlich gleich mitgemacht.
„Ich geh schon!“, rief ich und öffnete die Tür. Doch da stand kein Brötchenlieferant, sondern ein ausgemachter Punker mit violetter Stachelfrisur, Lederjacke, Springerstiefeln und einem furchtbar unglücklichen Gesicht. „Mao-phe-do!“, jammerte er und stürzte auf mich zu. Erst jetzt erkannte ich, dass es Ramo war.
„Ramo!“, rief ich mehr als überrascht, „Wie siehst du denn aus?! Bist du in die Punkszene übergelaufen?“
„Mao-phe-do, Schwarzer, wilder Mustang im Galopp, du musst mir helfen!“, rief er geradezu verzweifelt, ohne meine Frage zu beantworten. „Es ist furchtbar! Ich bin dem Tode geweiht!“
Ich verstand nur noch Bahnhof.
„Was ist denn los?“, fragte Vanessa, die aufstand und Ramo jetzt erst sah. Erschrocken schlug sie die Hände vor den Mund. „Oh je! Was ist bloß mit dir passiert, Ramo? Du hast ja deinen Talisman verloren!“
Stimmt, das fiel mir jetzt erst auf. Aber was hatte sein Aussehen damit zu tun?
„Komm, Kumpel, bleib cool. Setz dich erstmal hin und erzähl uns, was passiert ist.“, schlug ich vor und zerrte den anscheinend traumatisierten Ramo zum Tisch und auf einen freien Stuhl. Vanessa setzte sich wieder auf ihren Stuhl vor dem Fenster, ohne dabei ihren entsetzten Blick von Ramo abzuwenden; ich platzierte mich auf meinem Stuhl. Und da wurde mir plötzlich klar, was die ganze Zeit so komisch war: Ramo's Tipi stand nicht mehr vor dem Fenster!
„Ey, Alter, wo haste denn dein Zelt gelassen?“, fragte ich. Ramo machte nur ein jammerndes Geräusch, das wie ein verletztes Tier und gar nicht nach dem abgehärteten Indianer klang, der er doch war. Auf der Stelle tat er mir leid, obwohl ich immernoch rätselte, was um alles in der Welt passiert war. Zu meiner Überraschung antwortete Vanessa für ihn: „Ramo hat mir gestern erzählt, dass er die Nacht in einer anderen Stadt verbringen wollte. Und zwar in Lekahall, von wo wir neulich Früchte geholt haben, weißt du noch? Dorthin hast du bestimmt dein Tipi mitgenommen, nicht wahr, Ramo?“
Er nickte, blieb aber stumm und starrte deprimiert auf die weiße Tischdecke.
„Ja, und was ist dann passiert?“, fragte ich leicht ungeduldig. „Was wolltest du überhaupt in der Stadt?“
„Eins nach dem anderen“, flötete Vanessa mit besonders sanfter Stimme, als wenn sie mit einem verschreckten kleinen Kind sprach, „Also, Ramo: Was hattest du in Lekahall vor?“
Er hatte gerade den Mund geöffnet, um zu antworten, als Nici das Treppengeländer herunterrutschte und mit viel Radau auf den Küchenfußboden sprang. „Hä, was'n hier los?“, fragte sie irritiert, als sich unsere Blicke auf sie richteten, um zu sehen, wo das Gepolter herkam. „Gerichtsverhandlung oder was? Cooler neuer Look übrigens, Ramo. Sind die Brötchen schon da?“
„Sieht nicht so aus, oder?“, erwiderte ich und wandte ihr den Rücken zu. „Ramo...“
„Hat sie einen Talisman?“, flüsterte Ramo panisch.
„Äh... keine Ahnung. Wieso?“
„Wa-nesa, hat sie einen Talisman?“
„Ja... ja, natürlich, ihr Zopfgummi ist einer.“, behauptete Vanessa. „Aber wieso...?“
„Na, weil ich verflucht bin!“, rief Ramo, als wäre es das Selbstverständlichste der Welt. „Seht mich doch an! Die Untoten haben mich meines Traumfängers, meines Talismans und meiner Seele beraubt! Und das ausgerechnet in der heiligen Nacht! Versteht ihr? Ich bin ebenfalls ins Reich der Untoten übergegangen, und wenn ihr nicht den starken Schutz eurer Talismane hättet, wäret ihr ebenso dem Tode geweiht! Ihr müsst mir helfen, sonst werde ich nicht ins Reich der Lebenden zurückkehren können! Meine einzige Chance, die Ehre von Ramo-to, Weiße Möwenfeder, die den Stürmen trotzt, zu retten, wäre dann, meinem Dasein als Untoter ein Ende zu setzen!“ Er schauderte sichtlich.
„Ein Ende zu setzen?“, wiederholte ich mit einem unguten Gefühl im Bauch. „Was... was genau meinst du damit?“
In dem Moment klingelte es an der Haustür. „Na endlich!“, rief Nici, die bisher nur gelangweilt auf der Treppe gehockt hatte, sprang auf und nahm die Brötchen in Empfang. Zu unserem Unbehagen setzte sie sich neben Vanessa zu uns an den Küchentisch. „Hey, ihr wolltet doch wohl nicht einfach die Konfitüre anbrechen, oder? Die hab ich mir gekauft.“
„Wir haben aber ausgemacht, dass wir uns alles teilen!“, warf Vanessa empört ein, die Gerechtigkeit sehr wichtig fand. Anscheinend wichtiger als das, was Ramo uns zu sagen hatte, stellte ich missmutig fest. „Außerdem ist das keine Konfitüre, sondern Marmelade. In Konfitüre sind nämlich mindestens fünfzig Prozent Zucker, die hier enthalten aber nur vierzig Prozent-“
„Jaja, ist ja schon gut, du Neunmalkluge!“, sagte Nici und verdrehte die Augen.
„Sprich so nicht mit Vanessa!“, warf ich jetzt doch ein, obwohl ich eigentlich lieber die Unterhaltung mit Ramo fortführen wollte. Nici warf mir einen giftigen Blick zu und konzentrierte sich dann ignorant auf ihr Brötchen. Ich betrachtete die Unterhaltung damit als beendet. „Also, Ramo, nochmal von vorne und langsam zum Mitschreiben: Du hast in Lekahall übernachtet, weil irgendso 'ne heilige Nacht war. Und dann... wie war das mit den Untoten?“
„Das hat er doch gesagt: sie haben ihm seinen Talisman und -“
„Jaja, das ist mir schon klar, Vanessa, aber wer waren diese Untoten und warum haben sie das gemacht? Und außerdem erklärt das immernoch nicht, wieso Ramo hier wie ein Punker herumläuft!“ Ich verlor langsam die Geduld.
„Sagt mal, wovon labert ihr eigentlich die ganze Zeit?“, mampfte Nici und Marmelade tropfte ihr aus dem Mund. Vanessa wandte sich angeekelt von ihr ab.
„Ramo, wieso hast du denn jetzt diese Sachen angezogen?“, fragte sie, ohne Nici weitere Beachtung zu schenken, und deutete auf seine punkige Kleidung.
„Ich habe gar nichts angezogen! Ich meine, natürlich habe ich Kleidung getragen, aber ich habe mich nicht umgezogen! Als ich aufgewacht bin, waren mein Tipi, mein Talisman und mein Traumfänger fort und ich sah genauso aus wie jetzt, wie die Untoten auch! Das heißt doch, sie haben mich gegen meinen Willen in ihre Kreise aufgenommen!“
Vanessa und ich schauten uns fragend an. „Meinst du, diese sogenannten Untoten waren auch Punker?“, vermutete ich.
„Anscheinend. Aber wieso haben sie das getan?“
Ich schaute wieder Ramo an. „Hast du die Punker – äh, ich meine, die Untoten – irgendwie beleidigt oder so?“
„Nein!“, widersprach er aufgebracht, „So etwas würde ich, Ramo-to, Weiße Möwenfeder, die den Stürmen trotzt, doch niemals tun! Schon gar nicht in der heiligen Nacht!“
Na toll. So kamen wir nicht weiter. Ramo kapierte einfach nicht, was wir von ihm wissen wollten. Dann musste ich eben selbst mal in Lekahall nach dem Rechten sehen und herausfinden, was dort letzte Nacht passiert war.
Eine neue Mission!
„Manfredo, wo gehst du hin? Du hast noch gar nichts gegessen!“, erinnerte mich Vanessa besorgt, als ich aufstand und zur Tür ging.
Ich blieb mit der Türklinke in der Hand nochmal stehen und wandte mich halb zu ihr um. „Ich werde mir mal diese Lekahallianer vorknöpfen und fragen, was sie mit Ramo angestellt haben.“
„Ganz allein?“ Sie machte ein noch besorgteres Gesicht. Ramo sprang auf. „Nein, denn ich komme natürlich mit! Wenn es eine Möglichkeit gibt, wieder ins Reich der Lebenden zurückzukehren, werde ich Mao-phe-do selbstverständlich bei meiner Heilung helfen!“
Ich war zuerst alles andere als erfreut über diese Ankündigung und öffnete den Mund, um zu widersprechen. Doch da mir kein Gegenargument einfiel und der starke Indianer vielleicht auch ganz nützlich sein konnte, falls sich die Punker mit mir anlegen wollten, schloss ich ihn wieder und zuckte mit den Schultern. „Na gut, dann komm, Alter. - Bis später, Vanessa!“

Lekahall ähnelte, wie ich es ja schon von meinem ersten Besuch hier wusste, eher einem Wald als einer Stadt. Nur hier und da standen einige heruntergekommene Baracken, von denen die meisten nicht so aussahen, als seien sie überhaupt noch bewohnt. Manche Fenstergläser hatten Risse, andere waren gar nicht mehr vorhanden. Die Dächer waren bestimmt undicht, an einigen Stellen lagen gar keine Ziegel mehr darauf. An den schmutzigen Hauswänden rankte größtenteils Wein oder Efeu empor (glaubte ich jedenfalls, ich konnte dieses Grünzeug trotz Vanessas Bemühungen, mich in Botanik zu unterrichten, immernoch nicht richtig auseinanderhalten), und wo dies nicht der Fall war, hatte irgendwer Graffiti an die Häuser geschmiert. Eigentlich fand ich Graffiti ja cool, aber das sah total uncool und amateurmäßig aus. Das einzig Schöne an der ganzen Landschaft waren die vielen Obstbäume, von denen sich Vanessa in der Vergangenheit gern bedient hatte. Dies störte wohl auch keinen hier, da niemand die Früchte zu ernten schien und einige bereits matschig und faulig auf dem Boden lagen.
Während wir ein wenig herumspazierten, Ramo dicht hinter mir, damit ich mir einen Überblick der Lage verschaffen konnte, begegneten wir keinem einzigen Menschen.
„Bist du dir sicher, dass wir hier richtig sind, Ramo?“, fragte ich schließlich und machte vor dem Rathaus halt, welches zwar nicht mit Graffiti besprüht war, den anderen Häusern aber ansonsten in Sachen Verfall um nichts nachstand. „Mir kommt das eher so vor wie eine Geisterstadt.“
„Nein, Mao-phe-do, Schwarzer, wilder Mustang im Galopp. Wir sind hier schon richtig. Dies ist Lekahall.“, verkündete er mit unheilschwangerer Stimme. Dann schwieg er wieder und schaute mich aus seinen dunklen Augen mit einem so abgrundtief deprimierten Blick an, dass mir schon etwas unwohl in meiner Haut wurde.
Ich riss mich von seinem Anblick los, der mich an die traurigen Augen eines Bassets erinnerte, und ging zielstrebig zu einem der Häuser. Da statt einer Klingel nur noch abgerissene Kabel aus dem Türrahmen ragten, klopfte ich an. Von drinnen kam laute Punkrockmusik. Wahrscheinlich hatten sie mich nicht gehört. Ich klopfte nochmal, diesmal energischer. „Hallo?“, rief ich. Plötzlich packte mich jemand am Arm. Ich fuhr zusammen, doch es war nur Ramo, der mir „Achtung!“, zuraunte und zwischen die Bäume zeigte. Im ersten Moment sah und hörte ich nichts, obwohl meine Augen und Ohren doch bestimmt fast genauso gut waren wie die von Ramo. Dann tauchten dort zwei Punker auf, die bestimmt über zwei Meter groß waren; aber vielleicht sah das bei ihren Stachelfrisuren auch nur so aus. Sie trugen zerfetzte Hosen, mit Nieten besetzte Lederjacken und breite Stachelarmbänder. Keine Ahnung, was die daran so toll fanden, auszusehen wie zwei Igel, die 'nen Textmarker geknutscht hatten. Mich konnten sie jedenfalls mit diesem lächerlichen Karnevalsauftritt nicht einschüchtern.
„Ey, ihr da, ihr Punker!“, rief ich und marschierte geradewegs auf sie zu. Sie schauten mich abschätzig an.
„Kleiner, Leute wie dich können wir auf unserer Party nicht gebrauchen.“, sagte der eine mit kratziger Stimme, während er sich eine Zigarette anzündete. „Also zisch ab!“
„Wer behauptet, dass ich auf eure Punkerparty will, he?“ Ich baute mich breitbeinig vor ihnen auf und stemmte die Hände in die Hüften. „Sagt schon, was habt ihr mit Ramo angestellt? Hat er euch Irgendwas getan, dass ihr ihn so verunstalten musstet?“
Die Punker schienen sich ein Lachen zu verkneifen. Das gefiel mir gar nicht, die sollten sich gefälligst nicht lustig über mich machen! „Was heißt hier verunstalten?“, schnarrte der rauchende Typ mit Unschuldsmiene, „Wir haben ihn doch nur etwas aufgepeppt, wenn du verstehst, was ich meine.“
Die zwei grinsten ganz mies und ich wurde zornig. „Ihr rückt jetzt sofort seine Sachen raus, klar? Oder wollt ihr euch mit mir anlegen?!“
Jetzt schütteten sich die beiden wirklich aus vor Lachen. Ich lief rot an und stellte mich mit verschränkten Armen auf die Zehenspitzen, damit sie nicht so verdammt gleichgültig auf mich herunterschauen konnten. Sie beruhigten sich erst wieder einigermaßen, als dem Typ die Zigarette aus dem Mund fiel und unter das T-Shirt rutschte. Er jaulte laut, hüpfte im Kreis und schüttelte sein Shirt, bis das glühende Teil herauspurzelte. „Scheiße!“, rief er und rieb sich den Bauch. Der andere Punker, der immernoch grinste, bot ihm eine weitere Zigarette an, die er ihm sofort aus der Hand riss, anzündete und einen tiefen Zug nahm. Dann hielt er mir den drohend den Zeigefinger vor die Nase. Er schien jetzt nicht mehr zum Spaßen aufgelegt zu sein. Nur sein Kumpel gluckste noch im Hintergrund in sich hinein, während er mit wackelnder Zigarette verkündete: „Okay, jetz' is Schluss mit lustig, Kleiner. Und hör auf, dich so aufzuspielen, als wenn du dich mit uns anlegen willst, ich wette, in Wirklichkeit bist du nur ein kleiner Feigling, klar? Also halt einfach die Klappe und verzieh dich mit deinem komischen Freund, der hat nur verdient, was er bekommen hat.“
„Wieso hat er es verdient? Ramo hat euch gar nichts getan!“, rief ich wütend. Er war doch derjenige, der sich hier so toll vorkam und Stress wollte, nicht ich!
„Weißt du, im Gegensatz zu dir finden wir es nicht so besonders cool, wenn ein Typ wie der da“ (er zeigte auf Ramo, der erfolglos zu versuchen schien, unsichtbar zu werden) „bei uns im Dorf rumlungert, die ganze Nacht lang singend um sein Lagerfeuer hüpft und uns fast mit seinem komischen Pfeil abballert.“
„Ach, und dann seid ihr einfach in sein Tipi reinspaziert und habt ihn als Punker verkleidet? Glänzende Idee. Wusstet ihr eigentlich, dass Ramo euch jetzt für Untote hält und meint, Selbstmord begehen zu müssen, wenn er seine Sachen nicht wiederbekommt?“
„Ach, halt doch die Schnauze, du gestörtes Kind!“ Dem Punker hüpfte schon wieder fast die Zigarette aus dem Mund und er ruderte jetzt mit den Armen, als wenn er uns wie Rindvieh wegtreiben wollte. Bevor ich etwas erwidern konnte, hatten die beiden Punker uns zur Seite gestoßen und waren in das Haus verschwunden, aus dem die Musik kam. Ich schnaubte abfällig. Ramo sah jedoch immernoch ziemlich verzweifelt aus, was ich sonst gar nicht von ihm kannte. „Ach, nimm die doch nicht so ernst, die sind so'n bisschen krank im Kopf, glaub ich.“, sagte ich, doch ihn schien es nicht aufzumuntern. Er seufzte leise und fragte dann halb flüsternd: „Mao-phe-do, gibt es noch Hoffnung, dass Ramo-to, Weiße Möwenfeder, die den Stürmen trotzt zu den Lebenden zurückkehren kann?“
„Bastel dir doch einfach einen neuen Talisman.“, schlug ich vor, doch er schüttelte den Kopf.
„Talismane beschützen die Lebenden, sie können keine Untoten wiederbeleben.“
Mamma mia, wenn er es doch so gut wusste, warum fragte er dann mich? Ich war kurz davor, einfach wieder nach Island zurück zu spazieren, sollte Ramo doch sehen, wo er blieb; aber im nächsten Moment schämte ich mich für diesen Gedanken. Immerhin war er ein echt cooler Typ, mal davon abgesehen, dass er ein bisschen gestelzt redete und 'ne komische Lebensweise hatte, aber dafür konnte er ja nichts. Wahrscheinlich musste ich mir einfach nur irgendeine Prozedur ausdenken, die ihn angeblich wiederbeleben würde. Er hatte mir immerhin auch abgenommen, dass meine Uhr mein Talisman war. Ob ich behaupten sollte, er müsse mit einer Unterhose auf dem Kopf den Ententanz aufführen und dabei einen Gangsterrap rappen? Nein, das ist doch etwas zu mies, sprach die Stimme der Vernunft in mir (ja, die hatte ich auch, aber ich überhörte sie meistens). Immerhin durfte ich Ramos Hilflosigkeit, so albern diese auch war, nicht ausnutzen. Also schlug ich ihm etwas Anderes vor: „Ich bin mir ziemlich sicher, dass wir Rache nehmen müssen.“, behauptete ich.
Ramo machte große Augen. „Rache an denen vom Stamme der Lekahallianer?“
„Genau. Also, nein! Versteh das jetzt nicht falsch, wir können uns nicht mit einer ganzen Stadt wildgewordener Punker anlegen... Aber hast du nicht einmal gesagt, dass auch Pflanzen und Tiere zu den Indianerstämmen gehören? Wie wär's, wenn wir einfach die Bäume abholzen?“
Ramo schaute mich so entsetzt an, als würde ich ihn zu einem Mord anstiften. Doch da er wohl auch keine andere Lösung fand, willigte er schließlich widerstrebend ein und fragte mit sichtlichem Unbehagen, ob ich denn eine Axt mithätte.
„Klar, Alter“, sagte ich und gab ihm meine.
„Wo gehst du hin?“, fragte er daraufhin, als ich mich verziehen wollte.
„Ähm... ich hol mir 'ne Säge. Fang einfach schon mal an.“
Nachdem ich zum Laden in Lekahall gegangen und mir dort eine Motorsäge gekauft hatte (der Laden war genauso schäbig wie die anderen Häuser), gesellte ich mich wieder zu Ramo und wir hackten Bäume ab. Mit meiner Säge ging das zwar etwas besser, doch Ramo war schließlich derjenige, der immer mit seinen Muskeln angab. Da sollte er sie auch mal benutzen. Außerdem brauchte er Hilfe von mir, nicht umgekehrt. Da war es doch ziemlich nett von mir, dass ich ihn überhaupt so sehr unterstützte.
Die Stimmung von Ramo schien sich mit jedem gefallenen Baum zu heben und er wurde allmählich wieder etwas gesprächiger. Dies und die Vorstellung, was die Punker wohl für ein Gesicht machten, wenn sie sahen, dass ihr ach so geliebter Wald abgeholzt worden war, brachte auch meine Laune auf Hochtouren.
Wir hackten so lange, bis Ramo's Axt schließlich zerbrach und der Akku meiner Motorsäge fast leer war. Zufrieden betrachtete ich unser Werk. Die Punker würden ganz schön staunen, wenn sie mit ihrer Party fertig waren!
„Komm Ramo, hauen wir ab“, meinte ich. Ramo nickte, ließ aber noch einmal ehrfurchtsvoll seinen Blick über das Chaos schweifen. Er schloss kurz die Augen und deutete eine Verbeugung an. „Mögen sie in Frieden ruhen.“
„Ähm... ja, das werden sie bestimmt. Komm jetzt, bevor die Punker Wind von der Sache bekommen.“ Ich zog Ramo mit mir, der einen seltsam glasigen Ausdruck in den Augen hatte. „Alles okay mit dir?“, fragte ich.
Er schaute mich an, als würde er mich zum ersten Mal sehen; dann schien er wie aus einem Traum zu erwachen. „Mao-phe-do, ich freue mich, dich kennen zu lernen!“
„Hä? Du kennst mich doch schon...“
Entsetzt starrte er mich an. „Mao-phe-do, das darfst du doch nicht sagen!“, wisperte er kaum hörbar, obwohl uns doch sowieso niemand zuhören konnte. „Ich bin gerade wiedergeboren, und wir lernen uns gerade erst kennen!“
„Alles in Ordnung mit dir, Ramo?“, fragte ich nochmal nach, diesmal ernsthaft besorgt.
„Ramo? Wer ist das?“
„Na, du natürlich!“ Mir ging ein Licht auf. „Du willst ja wohl nicht, dass ich dich jetzt neu benenne, oder?“
„Aber selbstverständlich, Mao-phe-do, Schwarzer, wilder Mustang im Galopp! Du hast mir ins Leben verholfen, mein Bruder und Vater, und deshalb wirst du die Ehre haben, mir einen Namen zu verleihen.“
„Wie du willst.“, sagte ich und grinste. Jetzt war ich also sein Bruder und Vater zugleich? Interessante Familienverhältnisse... Einen Moment lang spielte ich mit dem Gedanken, ihn Spongebob zu nennen. Doch die Stimme der Vernunft, die heute ziemlich hyperaktiv war, hielt mich gerade noch davon ab. „Dann nenne ich dich: Ramo-to, Weiße Möwenfeder, die den Stürmen trotzt!“
Wow, ich hatte seinen ganzen Namen richtig aufgesagt!
„Dein Wille geschehe.“, sagte Ramo und nickte ernst. Ich war kurz davor, „Amen“ zu sagen.
„Jetzt brauche ich nur noch einen Talisman.“ Ramo schaute sich schon nach brauchbarem Material um, als ich plötzlich die Punker aus dem Haus kommen sah.
„Ach, weißt du, Ramo, du kannst dir doch einfach beim Nook einen Talisman kaufen. Jetzt komm endlich!“, sagte ich schnell und zerrte ihn mit mir, denn die Punker hatte den Schaden entdeckt, den wir angerichtet hatten.
„Wie du wünschst“, sagte Ramo gleichgültig. Dann schien er endlich zu realisieren, dass die Punkerbande (es waren bestimmt über zwanzig) sich auf uns stürzen wollte. Er blieb stocksteif stehen, sodass ich, weil ich ihn immernoch am Arm hinter mir herzog, fast hinfiel, und er wurde so blass, wie das bei seiner bronzenen Hautfarbe überhaupt möglich war.
„Sind das die Untoten?“
„Ja, ja, genau, komm schon, schnell weg hier!“
Und als wenn ich das nicht eben auch schon die ganze Zeit gesagt hatte, brüllte Ramo: „LAUF UM DEIN LEEEBEN!“
Dann legte er einen Sprintstart hin, der mich erneut fast von den Füßen riss. So schnell es ging stolperte ich hinter ihm her. Er machte keine Anstalten, meine Hand loszulassen, und ich war mir nicht sicher, ob das gut oder schlecht für mich war. Wenigstens konnte ich so mit ihm Schritt halten, doch angenehm war es jedenfalls nicht, durch das Gestrüpp geschleift zu werden, das hier überall wuchs. Wir sprangen über Baumstämme, ich stolperte andauernd über Äste oder blieb mit einem Fuß an Wurzeln hängen, doch Ramo raste wie ein unaufhaltsamer Rammbock durch den Wald und walzte alles nieder, was ihm vor die Füße geriet. Das Wutgeschrei und die trommelnden Schritte der Punker blieben hinter uns zurück, und schließlich hatten wir wieder das Stadttor erreicht. Ich war furchtbar zerschrammt und aus der Puste, aber Ramo wirkte so frisch und ausgeruht, als hätte er nur einen Spaziergang hinter sich, als wir in die Eingangshalle brausten und er von hundert auf null vor dem Stadtwächter stoppte. Ich knallte ihm gegen den Rücken und wäre fast hingefallen, wenn er meine Hand losgelassen hätte.
„Mein weißer Bruder und ich möchten so schnell wie möglich nach Island zurück!“, sprudelte es aus Ramo heraus. Ausnahmsweise mal schien er nicht so gelassen wie sonst zu sein.
Der Wächter, ein kleiner buckliger Punker mit sehr wenig, aber lila gefärbtem Haar, schaute gelangweilt von seinem Klappstuhl hoch, auf dem er wohl bis eben noch gepennt hatte. „Soso, Island also“, wiederholte er langsam. Ächzend und stöhnend hievte er sich hoch, plumpste dann jedoch wieder zurück auf seinen Stuhl. Ramo zog ihn schnell hoch. „Danke, mein Junge.“ Der Wächter zeigte seine fauligen Zähne. „Dann woll'n wir mal...“
Ich trat auf der Stelle und beobachtete nervös die Tür der Eingangshalle.
„Hattet ihr denn fett Fun in Lekahall?“, fragte der Wächter, während er mit dem Schlüssel zur Tür schlurfte. Meine Fresse, die Punker konnten jeden Moment hereinplatzen und uns fertigmachen, und der Typ wollte uns jetzt auch noch ein Gespräch aufschwatzen!
„Mamma mia, können sie sich nicht ein bisschen beeilen, Alter? Bitte?“, fügte ich schnell hinzu. Die missmutige Antwort ging in einem Knall unter, als das hölzerne Eingangstor mit solcher Wucht aufgestoßen wurde, dass sie an der Wand halb zersplitterte. „Ey, ihr da! Kommt her! Jetzt gibt’s Stress!“, schrien die Punker wutentbrannt und stürzten sich auf uns. Ramo schien ebenso wenig wie ich darauf erpicht zu sein, sich mit ihnen anzulegen, und wir flitzten hinaus, kaum dass das Tor einen Spalt geöffnet war. Ramo stieß dabei den Wächter um, der fluchend auf seinen Allerwertesten plumpste, und ich schlug den Punkern das Tor vor den gepiercten Nasen zu. Dann rannten wir wie von der Tarantel gestochen davon bis nach Island.
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