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 Manfredo's Tagebuch: 39. Kapitel

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Faules_Kätzchen
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Manfredo's Tagebuch: 39. Kapitel Empty
BeitragThema: Manfredo's Tagebuch: 39. Kapitel   Manfredo's Tagebuch: 39. Kapitel EmptySa Dez 03, 2011 6:31 pm

Neue und alte Schwierigkeiten
Montag,
den 13. September
2009
Ich hatte eigentlich erwartet, genau wie Katy, F.K. und Tony von der Erkenntnis über unsere „Entstehung“ (wie sollte ich es anders nennen?!) einen kleinen Schock davongetragen zu haben und wie die drei nun von Albträumen geplagt zu werden. Nicht, dass Albträume mich in irgendeiner Weise aus der Fassung brachten, aber sie konnten doch ziemlich lästig und uncool sein. Doch warum auch immer blieb ich davon verschont. Tja, jetzt zeigte sich eben, wer wirklich ein harter Kerl war! Selbst F.K. schien trotz seiner harten Schale einen weichen Kern zu haben, denn gestern morgen hatte ich einen Riss in seiner Sonnenbrille entdeckt, von dem er aber vehement abstritt, ihn durch seinen unruhigen Schlaf verursacht zu haben. Ich durchschaute ihn selbstverständlich sofort, sagte aber nichts mehr dazu, sondern hob nur skeptisch die Augenbrauen.
„Lass das, Manfredo, davon bekommst du Falten auf der Stirn.“, belehrte mich Tony prompt. Mamma mia! Was die immer für Sorgen hatte! Potenzielle Botox-Kandidatin, dachte ich nur. Noch eine Gemeinsamkeit von ihr und dieser schlechten Schauspielerin Melanie Diva.

Heute warf uns Katy um halb fünf aus dem Bett, denn unser Flieger würde schon zwei Stunden später abheben. Nach ihren zugequollenen, wenn auch dick geschminkten Augen zu schließen hatte sie in der Nacht mal wieder keinen Schlaf gefunden. Auch Tony und F.K. gähnten wie zwei Murmeltiere. Heilige Pizza, die waren ja alle ganz schön sensibel! Ich für meinen Teil hatte hervorragend gepennt. Okay, ich musste ja zugeben, dass ich schon vor dem Gespräch mit Antje und Birte etwas geahnt hatte... Aber ich wäre schließlich nie darauf gekommen, dass es wirklich so war! Außerdem hatte ich den dreien immer schon von den gruseligen Mädels erzählt, und da hatten sie mich nur ausgelacht. Das hatten sie jetzt davon! Hahaha! Schadenfreude war doch immer noch die schönste Freude!

Der Flug nach Hause gestaltete sich als nicht besonders cool, da sich Tony, F.K. und besonders Katy die ganze Zeit im Halbschlaf befanden. Ich fand das relativ scheiße, da ich nun niemanden zum quasseln hatte, ließ mich aber durch die Käse- und Schinken-Sandwiches etwas besänftigen, die ich von den dreien bekam, da sie angeblich keinen Hunger hatten. Erst, als der Flieger zum Landeanflug ansetzte und ich allmählich schon wieder hungrig wurde, schlugen meine Homies endlich wieder die Kulleraugen auf. Der Riss in F.K.s Sonnenbrille hatte sich vergrößert und zog sich nun fast über das ganze Glas, doch ich konnte inzwischen verstehen, warum er sie nicht absetzte, obwohl Tony ihn besorgt dazu drängte.
„Mamma mia, jetzt könnte ich einen Döner vertragen!“, seufzte F.K., um vom Thema abzulenken, als wir das Flugzeug verließen. Tony, Katy und ich konnten ihm da nur zustimmen, doch Katy meinte, wir sollten lieber zuhause essen, da am Flughafen alles total überteuert sei.
„Ich habe aber Hunger!“, quengelte ich immer wieder, während wir an der Gepäckausgabe auf unsere Sachen warteten, bis Katy der Kragen platzte. „Meine Fresse, Manfredo, du hast ja wohl den ganzen Flug über Essen in dich reingestopft! Du kannst dich hier am wenigsten beschweren!“ Mit erstaunlicher Leichtigkeit hob sie ihren Koffer vom Band. Das Nickerchen schien ihr gut getan zu haben. „Ich finde, wenn wir in Island sind, machst du uns erstmal eine schöne Lasagne, Manfredo. Und zwar soviel, dass man sich reinsetzen kann! Du bist doch angeblich so ein guter Koch, oder?“ Neckisch stieß sie mir ihren spitzen Ellenbogen in die Rippen, als ich gerade meinen Kram vom Fließband herunterhievte. Es kitzelte so sehr, dass ich fast den Koffer fallen ließ. Im letzten Moment packte eine große Hand den Riemen und hielt ihn fest. „Yesse, yesse; si, si; richtig!“, sagte F.K. und warf mir das Gepäck wieder in die Arme, sodass mir unter dem Gewicht fast die Beine wegknickten. „Ich finde, das ist eine sehr gute Idee!“
„Finde ich aber gar nicht!“, protestierte ich. Ich schrumpfte unwillkürlich unter F.K.s Checkerblick, der durch das zerbrochene Brillenglas noch schärfer geworden war.
„Was hast du gesagt, Manfredo?!“
„Ach, lass ihn doch, F.K.“, schaltete sich da Tony ins Gespräch ein, die noch auf ihren pinken Überseekoffer wartete. „Bis wir zu hause sind, sind wir doch längst verhungert, also können wir doch hier gleich etwas essen. Keine Sorge, ich lade euch ein!“, beschwichtigte sie Katy schnell, die den Mund geöffnet hatte, um zu protestieren. „Ihr wisst doch, dass ich nicht gerade knapp bei Kasse bin. Im Gegensatz zu euch armen Straßenpennern.“ Sie grinste schelmisch. Beim Anblick ihres unübersehbaren Barbie-Koffers änderte sich ihr ungewohnt frecher Gesichts-ausdruck jedoch abrupt zum gewohnten Hundeblick und sie wandte sich wimpernklimpernd an F.K.. „Schatzi, könntest du nicht...?!“
„Yesse, yesse; si, si; natürlich!“ F.K. gehorchte ihr aufs Wort und joggte dem Koffer entgegen, um ihn herunterzuheben. Tony und er strahlten sich verliebt an, als er ihr den Griff des Rollkoffers in die Hand drückte. Ich konnte ein Grinsen nicht unterdrücken, als ich mich fragte, wer von beiden wohl eher das Haustier des anderen war. Meine Spekulationen wurden jedoch von Katy unterbrochen, die ungeduldig mit den Fingern auf ihren Lackkoffer trommelte und rief: „So, habt ihr's jetzt endlich? Können wir los?“
„Yesse, yesse; si, si; richtig!“, antworteten F.K. und ich wie aus einem Mund.

Ich war Tony wirklich dankbar. Zum einen hatte sie mich davon erlöst, mit knurrendem Magen auch noch kochen zu müssen, und außerdem finanzierte sie uns allen ein Menü bei McDonald's. Trotz meiner nicht bestehenden Rechenkünste merkte selbst ich, dass hier alles mindestens dreimal so teuer war wie in einer normalen Filiale von „McDoof“, wie Tony es augenzwinkernd nannte. Sie meinte anscheinend, Fastfood wäre unter ihrem Niveau, konnte dann aber doch einer Portion Chicken McNuggets nicht widerstehen. „Der Salat gleicht das wieder aus!“, erklärte sie, als F.K. sie darauf ansprach. „Außerdem trinke ich ja schon Cola light.“
„Wie immer.“, grinste F.K. und hob demonstrativ seinen Becher mit normaler Cola. „Prost, Leute!“
„Prost!“, antwortete ich.
„Auf uns!“, rief Katy.
„Auf die Mädchen, die eines Tages beschlossen haben, uns zu kreieren!“, fügte Tony hinzu.
F.K., Katy und ich verschluckten uns fast. „Na ja, ist doch so.“, meinte Tony angesichts unseres Entsetzens achselzuckend. „Was soll schon so schlimm daran sein? Bisher haben wir doch auch nichts davon gemerkt.“
„Aber die beiden wissen alles über uns!“, warf Katy ungläubig ein, „Alles! Stört dich das denn gar nicht?!“
Erneut zuckte Tony nur mit den Schultern und knabberte an einem Salatblatt wie ein Kaninchen. „Wenn die beiden nicht gewesen wären, hätten wir gar nicht die Möglichkeit gehabt, überhaupt Geheimnisse zu haben. Also ich finde, man kann damit leben.“
Ich war überrascht, dass Tony nun doch so gut mit der Situation umgehen konnte, während die abgehärtete Katy und der coole F.K. davon noch immer innerlich so aufgewühlt wurden. Es war ein komisches Gefühl, eine Gemeinsamkeit mit Tony zu haben. Dennoch hielt mich irgendetwas zurück, mich ihrer Meinung anzuschließen und mich so mit ihr in gewisser Weise gegen Katy und F.K. zu verbünden. Ich schielte zu F.K. herüber, der sich mit auffälliger Hingabe mit seinem Essen beschäftigte. Schwieg er vielleicht aus dem gleichen Grund wie ich? Immerhin stand er ja zwischen seiner Cousine und seiner Freundin!
„Also findest du, wir sollten einfach ganz normal weiterleben wie bisher.“ Katy klang so sarkastisch, als erwartete sie schon, Tony würde ihr widersprechen. Tat sie aber nicht.
„Hm-hmm, ganz meine Meinung, Katy. Komm schon, was findest du denn daran eigentlich so schlimm? Ja, zugegeben, es war schon ein ganz schöner Schock. Aber wenn sich doch nichts für uns ändert, können wir die beiden doch einfach ignorieren!“
Katy blickte noch ungläubiger drein als vorher, während ihr unangetastetes Essen inzwischen bestimmt längst abgekühlt war. „Dir ist also total wumpe, was die zwei mit uns vorhaben? Wenn sie uns erschaffen haben, wer sagt dann, dass wir ihnen nicht eines Tages zu langweilig werden und sie uns wieder löschen?“
Löschen! Bei dem Wort ratterte etwas in meinem Gehirn. Aber natürlich! Das Erdbeben - Antje und Birte hatten einfach das erste Island gelöscht! Aber warum? War es tatsächlich so, wie Katy befürchtete? Waren wir ihnen zu langweilig geworden? Oder mal davon abgesehen, dass allein ich ja nun alles andere als langweilig war – hatten sie gewollt, dass wir Schwierigkeiten bekamen, damit das Spiel für die Mädchen spannender wurde? Zum ersten Mal seit der Erkenntnis über unsere wirkliche Herkunft spürte ich dieselbe Wut und das Unbehagen in mir brodeln, das auch Katy die ganze Zeit mit sich herumschleppen musste. Die zwei machten sich einen Spaß daraus, uns in Konfliktsituationen zu bringen! Die lebten gemütlich vor sich hin, und wenn ihnen nach Spaß zumute war, brachten sie mal eben unser Leben durcheinander. Sehr amüsant. Ich hatte auf einmal keinen Hunger mehr und schob meinen angebissenen Burger weit von mir.
„Hey, Kopf hoch, Alter.“ F.K. war mit dem Essen fertig und hatte sich über den Tisch zu mir gelehnt, während die Mädchen noch diskutierten. „Tony hat recht. Wir müssen jetzt einfach cool bleiben und uns keinen Kopf drum machen.“
Ich musterte ihn skeptisch. War das wirklich der F.K., der zwei Nächte zuvor im Schlaf total uncool seine Brille demoliert hatte? Und der wollte mir raten, cool zu bleiben?!
F.K. betrachtete mich eingehend. Manchmal hatte ich das Gefühl, seine Sonnenbrille hatte irgendwelche besonderen Spionagefunktionen, um die Gedanken Anderer zu lesen. Wahrscheinlich war F.K. in Wirklichkeit ein Geheimagent des FBI; Antje und Birte hätte ich diesen Einfall zugetraut.
„Weißt du, Manfredo – einige Leute glauben ja ans Schicksal.“ Oh Gott oh Gott, was war denn heute mit F.K. los?! „Ich tue das nicht.“ Ich atmete erleichtert auf. „Aber ich denke schon, dass man nicht alles im Leben beeinflussen kann. Ob man das jetzt Schicksal nennt oder Schutzengel oder Gott oder eben Birte und Antje, läuft im Prinzip aufs Gleiche hinaus. Solange wir darauf keinen Einfluss haben, ist es doch nur Zeitverschwendung, sich über sowas den Kopf zu zerbrechen.“
Ach du heiliges Kanonenrohr, jetzt mutierte mein Lieblingsgangster aber wirklich zum Philosophen! Ich war total baff. Bei meinem Gesicht musste F.K. grinsen. „Tja, das hättste jetzt nicht erwartet, was?“ Unvermittelt schlug er mir auf die Schulter, sodass ich leicht zusammenzuckte, und richtete sich mit seinem Tablett auf. „Kommt, Leute, hau'n wir endlich ab! Ich will sehen, ob irgendwer mein Auto aus dem Parkhaus geklaut hat und was in die Fresse verdient oder ob ich meine zierlichen Fäustchen heute schonen kann.“
Tony brach in lautes Lachen aus. „Ach Gott, jaa! Du arme zerbrechliche kleine Seele!“ Noch mit dem Tablett in der Hand gab sie ihm einen Kuss auf die Wange. Ich wusste echt nicht, wie sie das immer schaffte, auf ihren Stöckelschuhen zu balancieren, F.K. zu knutschen ohne ihn mit den Ketchupresten auf ihrem Tablett zu beschmieren und dabei auch noch gut auszusehen. Katy, die beim Anblick meiner leichten Bewunderung für Tony kaum merklich die dolchförmigen Augenbrauen zusammenzog, stand plötzlich mit einer sichtlichen Entschlossenheit ebenfalls auf. Als wollte sie beweisen, dass Tony keine Konkurrenz für sie darstellte, stöckelte sie auf ihren noch höheren High-heels so energisch auf mich zu, dass ich im ersten Moment unwillkürlich fast zurückwich. Sie gab mir einen dicken Schmatzer ins Gesicht und schleuderte ihr Tablett so schwungvoll in das Abstellgitter, dass es laut darin klapperte und ihr Pappbecher umkippte. Demonstrativ hakte sich Katy bei mir ein, während ich ein Lächeln kaum unterdrücken konnte. „Geh'n wir.“, sagte sie.

Bei F.K.s Auto empfing uns zum Glück keine böse Überraschung. Im Gegenteil: der Aufseher entschuldigte sich tausendmal dafür, dass er gar nicht gesehen habe, welche Gangster denn sein Auto mit Graffiti besprüht hätten und drückte ihm vor lauter Peinlichkeit einige Scheine in die Hand, damit er nicht gefeuert wurde. F.K. protestierte natürlich und wollte das Geld ablehnen, doch der Aufseher, der wohl kaum älter als ich und ziemlich ängstlich war, schaute sich nur die ganze Zeit hektisch um und ließ ihn gar nicht zu Wort kommen. Als er davonhastete, machte F.K. zuerst Anstalten, ihm zu folgen; dann überlegte er es sich aber doch noch anders. Schulterzuckend steckte er das Geld ein. „Knuddelbärchen!“, rief Tony so entgeistert, dass Katy und ich losprusteten. „Du kannst doch das Geld nicht einfach annehmen!“
„Du hast doch gesehen, dass er es nicht mehr wollte.“, erwiderte F.K. leichthin. „Wenn Antje und Birte uns einen Gefallen tun wollen, findest du etwa, dass wir uns dann dagegen sträuben sollten?“
Tony kniff die Lippen zusammen, schwieg daraufhin aber.
„Na also!“, sagte F.K. und half ihr in den Wagen, „Dann komm rein, Hasi. Ab geht’s nach hause. Oh, und ihr dahinten natürlich auch! Rein mit euch!“, fügte er hastig hinzu, als er uns zufällig im Rückspiegel entdeckte. Da war er mal einen Moment mit seiner Tony beschäftigt, schon hatte er uns ganz vergessen! Mamma mia, der alte Onkel Fridolin war ja wirklich nicht multitaskingfähig!

Die Ankunft zuhause war allerdings weniger erfreulich. Es war zwar zu erwarten gewesen, dass John während unserer Abwesenheit kein einziges Mal das Haus geputzt geschweige denn gelüftet hatte, doch dass es SO sehr stinken würde, hätte ich mir in meinen schlimmsten Albträumen nicht ausmalen können. Wenigstens stand die Tür einen Spalt offen, sodass Katy und ich schon einige Meter (!) vorher von dem penetranten Geruch nach alten Socken, Schweiß, faulen Eiern und etwas Undefinierbaren gewarnt wurden. „Nun?“, sagte ich, „Wer betritt zuerst die Höhle des Löwen?“
Katy schnaubte belustigt. „Löwe? John?! Naja, wohl eher Faultier...“
„...oder Stinktier.“
„Stinkbombe.“
Wir schwiegen wieder, aber davon wurde der Gestank natürlich nicht besser. Der Gurt meines Koffers schnitt mir in die Handfläche (denn natürlich rollte ich den Koffer nicht!) und ich sagte mir, dass wir früher oder später das Haus sowieso betreten mussten.
„Ich wünschte, F.K. wäre noch hier.“, seufzte ich, bevor ich mich in Bewegung setzte. Gleichzeitig war auch Katy losgegangen; natürlich hätte einer von uns gereicht, alle Fenster aufzureißen, doch mir war klar, dass Katy nicht freiwillig hierbleiben würde, wenn ich ihr das sagte, und ich würde definitiv auch nicht vor dem Haus auf sie warten. Wir stellten die Koffer neben der Tür ab; dann hielten wir uns beide die Nase zu, zogen die Tür ganz auf und stürmten im Schweinsgalopp hinein. Wir rannten gegen eine Wand von Gestank, blieben aber nicht stehen, auch wenn es uns fast umwarf. Man konnte Johns Geruch schon förmlich schmecken. Bääh! Wi-der-lich!
Ich lief die Treppe hoch, während sich Katy an den Fenstern im Erdgeschoss zu schaffen machte. Hier, im Schlafzimmer, war der Gestank am schlimmsten, das merkte ich auch mit zugehaltener Nase. Schleunigst riss ich die Fenster auf, sodass die wunderbar frische Spätsommerluft hereinströmte. Sie war zwar nicht ganz so warm wie auf Malle, doch vielleicht konnten wir heute ja trotzdem noch eine Grillparty machen.
„Manfredo!“
Ich drehte mich widerwillig zum noch immer stickigen Raum um. „Was geht ab, Katy?“
Aber nanu? Wo steckte sie denn?
„Manfredo, Haschisch! Ich brauche mein Haschisch!“, wiederholte die Stimme unverändert nah, doch jetzt erkannte ich auch, dass es nicht Katys Stimme war. Sie kam mir zwar bekannt vor; aber das konnte doch wohl gar nicht sein! Ich schaute mich aufmerksamer im Raum um – und da sah ich ihn auch schon lammfromm auf dem Bett sitzen. Als ich ihn erkannte, entfuhr mir ein genervtes Stöhnen. Der hatte mir ja gerade noch gefehlt! „Manfredo! Manfredo, ich brauche Haschisch!“, wiederholte Ralf Rolf Rudolf Ratte und blinzelte mich an, als könnte er kein Wässerchen trüben.
„Was machst du denn hier?“, fragte ich, ohne mir Mühe zu geben, besonders freundlich zu klingen, denn ich war nicht gerade begeistert darüber, ihn mal wieder zu sehen. Der sollte ruhig wissen, dass er hier nicht erwünscht war; auch wenn mir klar war, dass ihn diese Tatsache nicht im Geringsten kümmern würde. Ralf hatte sowieso immer gute Laune, da konnte man ihn theoretisch den ganzen Tag über beleidigen und ihm seine Drogen entziehen.
„Naja, ich wohne jetzt auch hier, Manfredo, ist doch klar!“ Hoffnungsvoll hüpfte er auf mich zu. „Hast du Haschisch?“
„Nein, und ich werde dir auch keins mehr besorgen! Du kannst dir deine Drogen in Zukunft selbst holen!“
Ich hatte echt kein Bock, dass ich wie in den letzten drei Jahren, in denen ich noch zuhause gewohnt hatte, ständig heimlich zum Drogendealer schleichen musste, um die ausgefallenen Bedürfnisse meiner Hausratte zu befriedigen. Nicht noch einmal! Nicht mit Manfredo Zimmermann! Kurzentschlossen packte ich die immernoch erwartungsvolle Ratte am Schwanz und hob Ralf kopfüber in die Luft. Dann warf ich ihn aus dem Fenster, was er jedoch nur mit einem begeisterten Jodeln kommentierte. Ich schloss das Fenster wieder und ließ mich aufs Bett fallen. Irgendwie hatte ich nicht das Gefühl, dass dieser Quälgeist mir so bald wieder meine Ruhe geben würde. Immerhin schien er ziemlich lange gebraucht zu haben, mich überhaupt zu finden, da würde er wohl kaum sofort wieder den Rücktritt antreten. Außerdem hatte er niemanden, der ihm sonst sein Haschisch kaufen könnte. Im Grunde konnte ich die Ratte ja verstehen... Aber wieso hatte er sich ausgerechnet mich als Besitzer und Drogenbeschaffer aussuchen müssen?! So war es nämlich passiert: Als meine Familie und ich aus dem Tierheim kamen, wo wir erfolglos nach einer Katze für Maria gesucht hatten, hatte er plötzlich in meiner Jackentasche gesessen. Ich hatte ihn mir also nicht ausgewählt, sondern er mich. Kein Plan, wie er sich überhaupt aus seinem Käfig befreit hatte, doch er schien auch ansonsten ziemlich intelligent zu sein, da er, wie ich schnell feststellte, sprechen konnte (wenn auch mit einem komischen Ratten-Akzent). Im ersten Moment war ich natürlich ganz begeistert von ihm gewesen und auch meine Eltern schienen nach einigen Diskussionen damit einverstanden zu sein, dass ich ihn behielt; wie oft lief einem schon eine so süße weiße Ratte zu? Auch sein Bedürfnis nach Haschisch störte mich zuerst nicht, da er einfach so cool war und ich ihn nur auf diese Art dazu bekam, mir aus seinem Gangsterrattenleben zu erzählen. Wie ich erfuhr, hatte er früher als Laborratte in einem Tierversuchslabor „gearbeitet“, wie er es ausdrückte, und war tagtäglich mit allen möglichen Mittelchen vollgepumpt worden; eben auch mit Haschisch, weshalb er wohl abhängig geworden war. Ich vermutete aber auch, dass irgendeiner der Stoffe für seine paranormale Intelligenz sowie seine Verrücktheit verantwortlich war.
Verrückt! Das war es doch – vielleicht konnte ich ja John meine gestörte Ratte andrehen! So, wie der sich benahm, traf er ohnehin regelmäßig den Drogendealer. Also dürfte ihm Ralf Rolf Rudolf insofern keine Schwierigkeiten machen. Und wie gesagt – wie oft bekam man schon gratis eine so süße weiße Ratte?!
Yesse, yesse; si, si; richtig – das war doch mal ein guter Plan!

Ich begleitete Katy also nicht zu F.K., um ihn zu fragen, ob auch er Bock auf Grillen hatte, sondern suchte stattdessen die ganze Landschaft nach etwas Hässlichem, Stinkendem (sprich John) ab. Wo steckte das Viechchen denn bloß? Normalerweise lief er mir in jedem unpassenden Moment über den Weg, und wenn ich ihn dann mal brauchte, war er unauffindbar!
„Du alter Sack, Dr. M! Schön, dass du wieder da bist!“
Bevor ich wusste, wie mir geschah, hing mir plötzlich die dicke Regina um den Hals. Empört befreite ich mich. „Was soll das bitte heißen, du alter Sack ?! Willst du mich vergackeiern?“
Verwirrt blinzelte Regina mich an und entgegnete leicht beleidigt: „Wieso sollte ich das tun? Ist der Spruch denn so schlimm?“
„Jaa, allerdings!“ Mir ging ein Licht auf. „Moment mal – du weißt gar nicht, dass das eine Beleidigung ist?“
Sie schüttelte überrascht den Kopf. „Nein! Ich hab doch nur einen neuen coolen Spruch gesucht, und da hat mir Keks du alter Sack vorgeschlagen. Oh, ich glaube aber nicht, dass Keks das absichtlich getan hat!“, setzte sie schnell hinzu. „Wahrscheinlich wusste er die Bedeutung selbst nicht.“
Ich glaubte wohl, mein Schwein pfiff. Da hatte jeder Dorfbewohner ein Lieblingszitat und keiner wusste, was es überhaupt bedeutete?! Vermutlich nicht. Diese Stadt hatte einen Durchschnitts-IQ von 30. Aber was soll's. So konnte ich mich zumindest schlau fühlen! Und es war bestimmt auch ganz lustig, einigen hirnlosen Nachbarn solche Phrasen anzudrehen. Wie ich es bereits bei Richi getan hatte, fiel mir ein; ob er wohl immernoch alle Leute mit Geh in den Puff ansprach? Oder hatte ihn inzwischen jemand aufgeklärt und er war nun stocksauer auf mich? Es gab nur einen Weg, das herauszufinden.
„Dr. M! Wo willst du denn auf einmal hin?“, rief Regina, als ich mich in Bewegung setzte. Ups, ich war so in Gedanken versunken gewesen, dass ich sie ganz vergessen hatte! „Sorry, Süße, ich möchte nur Richi suchen! Ach ja, und John natürlich auch.“, fiel mir wieder ein. „Hast du die zwei vielleicht gesehen?“
„Also, Richi sitzt mit Sicherheit wie immer bei sich zuhause. Er versucht schon seit Wochen, sein Aquarium zu reparieren. Hoffnungslos, wenn du mich fragst. Was John angeht...“ Regina rümpfte die Nase. „Der ist mir heute zum Glück noch nicht über den Weg gelaufen. Aber ich wette, er ist es gewesen, der heute morgen mein ganzes Blumenbeet demoliert hat.“ Schniefend wandte sie sich schnell ab und putzte sich geräuschvoll die Nase. Ich hatte das Gefühl, irgendwas Tröstendes zu sagen, doch mir fielen nicht die richtigen Worte ein. „Das wird schon wieder.“, sagte ich unbeholfen und fügte etwas widerwillig hinzu: „Wenn du möchtest, kann ich dir gern helfen, den Garten wieder in Ordnung zu bringen.“ Dazu hatte ich zwar überhaupt kein Bock, doch ich konnte es ihr ja wenigstens anbieten.
„Nein, nein, danke.“, sagte sie zum Glück und lächelte ein wenig, als sie sich wieder halb zu mir umdrehte. Ihre violette Wimperntusche war verschmiert. „Das musst du doch nicht. Ich komme schon klar. Außerdem hat mir Vanessa heute schon total nett geholfen, meine Babys wieder aufzurichten. Sie hat übrigens nach dir gefragt.“ Regina steckte das Taschentuch weg und machte ganz große Augen. „Ich wusste ja gar nicht, dass ihr beiden zusammen seid! Und das schon jahrelang! Und Vanessa hat mir erzählt, dass sie gar nicht abwarten kann, bis du wieder hier bist, weil du dann nämlich sofort bei ihr in Downtown einziehst! Stimmt doch, oder?“ Ihre Wangen waren noch rosiger als sonst geworden vor Aufregung. Auch mein Gesicht glühte, jedoch aus einem anderen Grund. „Ähm... vermutlich, ja.“, nuschelte ich.
Regina faltete entzückt die Hände. „Ach, das ist ja sooo romantisch!“, hauchte sie und hatte schon wieder Tränen in den Augen, diesmal aber wohl vor Rührung. Ich wäre am liebsten im Boden versunken. „Es steht aber noch nicht ganz fest...“, sagte ich unbeholfen. Regina tätschelte mir nur die Schulter. „Das versteh ich. In eine neue Stadt umzuziehen ist immer ein großer Schritt. Aber mach dir keine Gedanken, Downtown liegt ja ganz in der Nähe. Du kannst uns also immernoch besuchen kommen, so oft du möchtest. Oh, und wir werden natürlich auch mal zu euch rüberschauen, das steht fest!“
Ich versuchte, ihr strahlendes Lächeln zu erwidern, brachte aber nur ein krampfhaftes Grinsen zustande. „Danke.“ Ich räusperte mich. „Jetzt muss ich aber wirklich nach Richi suchen. Wir, äh, sehen uns dann noch später, denke ich...“
„Ja, genau, schau nochmal bei mir vorbei, bevor du abreist!“ Regina winkte mir kurz hinterher, als ich mich fluchtartig aus dem Staub machte. Mir war nun endgültig klar, dass der Mallorca-Urlaub das Katy-Vanessa-Problem nicht behoben, sondern vielmehr noch verschlimmert hatte. Wie eine Schlingpflanze, die ihre Tentakel immer enger zusammenzog und verknotete und nicht mehr zu lösen war. Ich schüttelte mich und wäre fast in John hineingebrettert, der mitten auf dem Sandweg saß und dank seines beige-grauen Safari-Outfits leicht zu übersehen war.
„Mamma mia!“, rief ich erschrocken, als ich mit einer Staubwolke abbremste. John blickte verschlafen auf und ich sah und roch zu meinem Entsetzen, dass er die Pharaomaske nicht trug. Am liebsten hätte ich mich sofort wieder vom Acker gemacht, doch ich musste ihm schließlich meine Ratte andrehen. Am besten brachte ich es schnell hinter mich.
„Hättest du Interesse an einer weißen Hausratte, John?“, kam ich ohne Umschweife zur Sache. Seine glasigen Augen schauten durch mich hindurch. „John?“, wiederholte ich, doch er reagierte nicht. Hatte er jetzt etwa seinen eigenen Namen vergessen, oder was?! Auf einmal schaute er langsam auf und schien mich zum ersten Mal richtig zu sehen. „Kia.“, sagte er, erkannte mich wohl aber nicht wieder sondern schaute verträumt an mir vorbei. Ich war kurz davor, aggressiv zu werden, als er jemandem hinter mir zurief: „John! Mein Bruudaaa! Kia!“ Erstaunlich schnell für seine Verhältnisse sprang er auf und rannte los, sodass ich überrascht nach hinten stolperte, als er mich fast umlief. Und da entdeckte ich, worauf er zustürmte – aber wie konnte das denn sein? Gab es etwa zwei Johns? Oder hatte John einen Zwillingsbruder? Ein John war doch schon genug!
„Bruda!“
„Brudaaa! Kia!“
Die zwei Johns, die schrecklicherweise beide keine Maske trugen, umarmten sich und lachten ganz dusselig. Dann plumpsten sie auf den Boden und rollten glucksend hin und her. Jetzt bemerkte ich auch, dass der Typ, den ich eben irrtümlicherweise für John gehalten hatte, gar kein Safari-Outfit, sondern eine Arbeitsuniform vom Nook trug. Außerdem hatte er den Hasenzahn auf der rechten Seite. Ansonsten sah er aber ganz genauso aus wie ein geklonter John. Und genauso hirnlos war er anscheinend auch. Aber was interessierte mich das? Ich hatte ja eigentlich etwas ganz Anderes fragen wollen.
Ich räusperte mich. „John, sperr mal die Segelohren auf. Ich hab 'ne Ratte zu verschenken. Willst du sie haben?“
John hatte aufgehört, herumzurollen und zu glucksen und grinste mich dämlich an, während sein Zwillingsbruder immernoch hin und her kullerte.
„Willst du eine Ratte haben?“, wiederholte ich noch einmal ganz langsam, als er keine Anstalten machte, mir zu antworten. Langsam schien ihm ein Licht aufzugehen. „Aha!“, rief er und rappelte sich schwankend wie ein Betrunkener auf. „Jaaa! John will eine Ratte haben!“
„Gut, dann komm mit.“, sagte ich und setzte mich schnell in Bewegung, bevor John mir zu nahe kam. Im ersten Moment blieb er jedoch nur stehen und starrte mich an.
„Komm schon!“, rief ich leicht entnervt und diesmal schienen die Worte auch langsam bei ihm anzukommen. Er stolperte mir mit einem lauten „Kiaaa!“ hinterher, ohne den anderen John zu beachten, der immernoch kichernd auf dem Boden rollte.

Katy, die inzwischen wieder zuhause war und ihre Sachen auspackte, war alles andere als begeistert, dass ich John anschleppte. Sie bestand darauf, dass er vor der Haustür stehen blieb, was natürlich John nicht so leicht zu erklären war. Als er es nach etwa zehn Minuten endlich kapiert hatte und draußen zum Warten auf einen Baum kletterte, wo er zufrieden an den Blättern kaute, machte ich mich schließlich auf die Suche nach Ralf Rolf Rudolf.
Dies nahm jedoch deutlich mehr Zeit in Anspruch, als ich erwartet hatte. Als wüsste die Ratte bereits, welches Schicksal ihr bevorstand, schien sie sich geradezu vor mir zu verstecken. Ein paar Mal erhaschte ich einen Blick auf etwas Weißes, Flauschiges, das aber immer wieder davonwuselte und sich unter einem Möbelstück verkroch. Ich musste ihn bestimmt eine Stunde lang durch das ganze Haus und schließlich auch nach draußen jagen, bis ich ihn am Fluss augenscheinlich in die Enge getrieben hatte.
Dachte ich jedenfalls.
Gerade freute ich mich schon, ihn endgültig schachmatt gesetzt zu haben, als er einfach blitzschnell ins Wasser sprang und begann, wie verrückt zum anderen Ufer zu paddeln. Ich konnte es nicht fassen. Da hatte ich mich nach diesem kleinen Drogenvieh dumm und dusselig gesucht und jetzt entwischte es mir einfach wieder?! Mamma mia! Der sollte mal nicht denken, ich schwamm ihm jetzt auch noch hinterher! Ich hatte die Nase gestrichen voll! Ein Italiano ließ sich doch nicht von so 'ner dämlichen Laborratte verarschen! Niemals! Nicht mit Manfredo Zimmermann!
Kochend vor Wut drehte ich Ralf den Rücken zu, der pitschnass, aber glücklich auf der anderen Flussseite saß und mir die winzige Rattenzunge herausstreckte. Nicht aufregen, Manfredo... Der ist es doch nicht wert... Einfach cool bleiben...
Komisch, meine imaginäre Stimme der Vernunft klang genauso wie F.K.. Na, der hatte ja gut reden! Er musste schließlich nicht stundenlang einer nervigen Ratte hinterherjagen!
„Also, krieg ich jetzt eine Ratte... oder nicht?“, hörte ich in dem Moment die verschlafene Stimme aus dem Baum. Heiliger Strohsack, ich hatte ja den ollen John ganz vergessen! „Nein, kriegst du nicht!“, grummelte ich schlecht gelaunt. Es raschelte so sehr, dass ich schon dachte, John fiele herunter. Doch er baumelte jetzt nur mit seinen langen Affenarmen an einem Ast und schaukelte leicht hin und her. „Ooooh... schaaaade...“ Ihm fielen beim Reden einige zerkaute Blätter aus dem breiten Mund. Als er mit einer Hand den Ast losließ, um sich neue vom Baum zu rupfen, plumpste er auf den Boden, wo er auf dem Hinterteil landete. Milde überrascht schaute er sich um, schien aber immer noch ganz zufrieden mit der Situation zu sein.
Ich ließ ihn dort sitzen und verzog mich ins Haus, da ich seinen Gestank inzwischen wirklich nicht mehr ertragen konnte.

„Und, hast du F.K. nach dem Grillen gefragt?“, erkundigte ich mich beiläufig bei Katy, als ich ins Schlafzimmer kam. Sie hatte inzwischen fast alle ihre Sachen verstaut, wogegen ich überlegte, ob ich meinen Koffer überhaupt auspacken sollte.
„Ja, wollte ich. Aber er war nicht da.“ Katy seufzte. „Keine Ahnung, wo der wieder steckt. Ich hab ihm 'ne SMS geschickt. Aber auch, wenn er heute nicht mehr auftaucht, können wir ja einfach zu zweit feiern.“ Sie warf die letzten zerknitterten Tops in den Wäschekorb und schob ihren Koffer unter ihr Bett. „Wenn du Zeit hast, kannst du ja schon mal beim Nook Zeug zum Grillen kaufen. Es sei denn, du willst deine komische Ratte grillen. Wo hast du die eigentlich plötzlich her?“
„Lange Geschichte.“, antwortete ich nur, um nicht näher auf Ralf Rolf Rudolfs Drogenproblem eingehen zu müssen. „Er hat mir schon früher mal gehört und ich hatte ihn eigentlich nicht mitgenommen, als ich das erste Mal umgezogen bin. Aber jetzt ist er mir wieder zugelaufen.“
Katy hob skeptisch die Augenbrauen. „Woher willst du wissen, dass es die gleiche Ratte wie damals ist? Es gibt doch tausende von den weißen Viechern. Und Ratten werden meines Wissens nicht besonders alt.“
Es brachte wohl nichts, damit anzukommen, dass mein Ratterich die deutsche und die italienische Sprache beherrschte. Da konnte ich mir ihre Reaktion schon bestens ausmalen. Also zuckte ich nur unbestimmt mit den Schultern. „Ich weiß es eben.“
„Aha. Na, wenn das so ist...“ Sie zwinkerte mir zu und schnappte sich den Wäsche-korb, um ihn die Treppe hinunter zur Waschmaschine zu bugsieren. Natürlich glaubte sie mir nicht. Wie immer. Etwas missmutig schob ich den Koffer, den ich gerade hatte auspacken wollen, wieder unter das Bett und machte mich auf den Weg zum Nook, um Würstchen, Steaks und Nudelsalat zu kaufen.
Auf dem Weg dort hin fiel mir Richis Bruchbude ins Auge. Ich erinnerte mich, dass ich ihn ja mal abchecken wollte, ob er nach wie vor ständig Geh in den Puff! von sich gab. Also ließ ich Tom Nook erst mal warten und klopfte an die Tür von Richi, da er keine Klingel hatte. Konnte er sich vermutlich nicht leisten, der geld- und hobbylose Penner! Ich grinste unwillkürlich. In dem Moment öffnete sich der Eingang ungewohnt schwungvoll und ein ebenfalls grinsender Richi stand vor mir. „Geh in den Puff! M.-Fatz!“, rief er gut gelaunt. „Das ist die beste Zeit! Ich sag dir, diese Nacht wird aufregend!“ Er strahlte mich an. Unter normalen Umständen hätte ich einen Lachanfall bekommen, doch ich war so baff, dass ich erst mal meine Sprache überhaupt wiederfinden musste. Was war denn mit Richi los? War er irgendwie krank? „Du hast mich auf frischer Tat ertappt...“, fügte Richi schließlich etwas leiser hinzu, als ich nicht antwortete. „ … Ich habe Vanessa zu Besuch. Kennst du sie? Echt hübsches Ding aus Downtown. Und nett ist sie auch...“
„Warum ist Vanessa bei dir ?!“, rutschte es mir unwillkürlich heraus.
„Wieso nicht?“, erwiderte er überrascht. Er starrte mich eine Weile an und zog die buschigen Augenbrauen zusammen. Plötzlich war er wieder ganz der Alte. „Hey, M.-Fatz, jetzt denk mal nichts Falsches von mir, klar? Vanessa ist nur da, um mir zu helfen, mein Aquarium zu reparieren! Du kannst also ruhig wieder gehen!“
„Mamma mia, ich bin ja schon weg!“, grummelte ich eingeschnappt. Wäre ich noch mit Vanessa zusammen gewesen, hätte ich ihn natürlich fertig gemacht. Aber war ich nun mit ihr zusammen oder nicht? Musste man das denn offiziell beenden? Reichte es nicht, wenn einer von uns beiden nicht mehr wollte?
Aber wollte ich denn wirklich nicht mehr?
All diese Fragen gingen mir langsam auf den Senkel. Wie sollte ich mich denn entscheiden, wenn es kein Richtig oder Falsch, sondern nur zwei falsche Möglichkeiten gab?
Ich hörte, wie Richi das Fenster öffnete und blieb ein paar Meter von der Eingangstür entfernt im Schatten seines Hauses stehen. Ich konnte jedes Wort verstehen, als Richi fröhlich Vanessa zurief: „Heiße Nacht heute, nicht wahr, Vanessa? Geh in den Puff! Pffff.“ Er trat vom Fenster zurück und gesellte sich vermutlich zu Vanessa. Ich verstand nicht genau, was sie antwortete, doch irgendwie gefiel es mir nicht, wie sie da ganz allein mit Richi in seiner Gämmelhütte festsaß. Bevor ich mich zurückhalten konnte, stand ich schon wieder direkt bei der Hauswand. Neugierig schob ich mich am Haus entlang bis zum Fenster.
„Pffff. Die Nacht ist noch jung, so wie wir.“, hörte ich Richi gerade in einem Tonfall murmeln, bei dem ich Brechreiz bekam. „Warum machen wir nicht mal was Außer-gewöhnliches heute Nacht?“
Wusste er eigentlich, wie doppeldeutig das klang? Nun, Vanessa schien es entweder nicht zu bemerken oder, noch schlimmer, nicht zu stören, denn sie erwiderte gerührt: „Ach Richi, ich wusste ja gar nicht, wie romantisch du sein kannst!“
Ich musste sofort hier weg, das war ja nicht zum Aushalten! Doch irgendwie wollten mir meine Beine nicht gehorchen. Gerade, als ich sie doch endlich zwang, sich in Bewegung zu setzen, hörte ich wieder Schritte, die sich dem Fenster näherten. Stocksteif blieb ich stehen. Die Schritte waren viel kleiner und leiser als Richis polterndes Stampfen. Als sie verstummten und Vanessa wieder sprach, war ihre Stimme so nah, dass uns vermutlich nur die Hauswand trennte. „Siehst du die schönen Sterne, Richi? Ist es nicht einfach magisch, dass wir immernoch das Licht längst vergangener Sonnen sehen können?“, sagte sie verträumt. Ich nahm ihre Bewegung direkt neben mir war, als sie sich weiter aus dem Fenster beugte. Ich hielt die Luft an und drückte mich fester an die Wand. Nur wenige Zentimeter von mir entfernt blickte Vanessa in den Himmel, sie war so nah, dass ich ihr blumiges Parfum riechen konnte und sah, wie sich der Mond in ihren großen blauen Augen spiegelte. Ich hätte nur die Hand ausstrecken müssen, um sie zu berühren. „Schau mal, Richi, heute kann man die Milchstraße sehen!“ Vanessa deutete nach oben und instinktiv folgte mein Blick ihrem ausgestreckten Arm in den Himmel. „Pffff.“, machte Richi nur unschlüssig. Anscheinend konnte er mit Sternen nicht viel anfangen, dachte ich schadenfroh. Tja, da würde er Vanessa wohl nicht viel länger anschmachten können! Doch wieder überraschte mich Richi: Er trat zu Vanessa ans Fenster und zeigte ebenfalls nach oben. „Das Sternenbild da hab ich im Museum in die Sternkarten eintragen lassen.“, grunzte er nicht ohne Stolz. „Erkennst du es? Es ist ein Quadrat mit fünf Ecken.“ Abgesehen davon, dass ich noch nie von so einem Gebilde gehört hatte, war es auch beim besten Willen nicht erkennbar. Wahrscheinlich hatte Richi einfach mitten in das Sterngetummel gezeigt und sich irgendwas ausgedacht.
Auch Vanessa machte im ersten Moment einen etwas verwirrten Eindruck, fing sich jedoch schnell wieder und behauptete: „Oh, tatsächlich! Jetzt sehe ich es auch! Wirklich wunderschön.“ Richi machte ein so zufriedenes Gesicht, dass ich ihm am liebsten eins auf die Fresse gegeben hätte. Vanessa fuhr etwas schüchtern fort: „Ich habe auch schon Sternenbilder erfunden. Ich weiß aber nicht, ob sie besonders gut sind...“
„Pffff. Sogar John hat schon Sternbilder erfunden.“
„Stimmt.“ Vanessa kicherte ganz süß. „Jim auch. - Sein Zwillingsbruder.“, erklärte sie angesichts Richis dusseligen Gesichtsausdrucks. „Er wohnt in Downtown, besucht aber John manchmal. Und schau mal...“ Sie wandte sich wieder den Sternen zu und zeigte hinauf. „Dies Sternenbild ist heute besonders gut zu sehen! Jim hat es erfunden und Stinkestiefel genannt.“ Erneut kicherte sie. Richi schien damit aber nicht so richtig etwas anfangen zu können, denn er kratzte sich nur am Kopf und machte: „Pffff. Geh in den Puff. Nun, äh... ich weiß nicht genau, was Stinkestiefel bedeutet...“, gab er es nun doch zu (ich sagte ja, IQ von 30). „Aber... ich wette, als Jim dieses Sternenbild erstellt hat, hat er sich total Stinkestiefel-mäßig gefühlt.“
Jetzt konnte Vanessa nicht mehr an sich halten und brach in einen zuckersüßen Kicheranfall aus. „Oh Richi, du bist ja heute lustig!“, quiekte sie und kicherte weiter. Richi schaute erst verdutzt drein, begann dann aber auch, künstlich zu lachen. „Ja, hahaha. Pffff. Also... oh, schon so spät! Zeit für's Abendessen, meinst du nicht?“
„Tatsächlich?“ Mit großen Augen schaute Vanessa auf ihre rosa Schmetterlingsuhr. „Oje, du hast recht! Dann muss ich wohl wieder nach hause gehen...“
„Aber nein, pffff, iss doch einfach mit! Und wenn's dann zu dunkel wird, kann ich dich nach hause bringen. Es sei denn natürlich, du übernachtest gleich bei mir, geh in den Puff...“
Ha, jetzt war er aber etwas zu voreilig gewesen! Vanessa schien ihn endlich zu durchschauen und sagte nur höflich: „Vielen Dank, das ist wirklich nett von dir, Richi; aber ich glaube, ich muss jetzt wirklich schlafen gehen.“ Sie gähnte wie ein müdes Kätzchen.
„Pffff. Also schön, wie du willst.“, grummelte Richi beleidigt. Die beide traten vom Fenster zurück und ich hörte sie noch ein paar Abschiedsworte wechseln.
Froh darüber, dass Vanessa Richi letztendlich doch entlarvt hatte, entfernte ich mich schleunigst vom Haus, als eine Stimme meinen Namen rief. Überrascht blickte ich mich um und entdeckte Katy im Licht der Straßenlaternen auf dem Hauptweg stehen. Sie hatte die Hände in die Hüften gestemmt und tippte ungeduldig mit einem Fuß auf den Boden. Oje. Keine guten Zeichen. Zögerlich kam ich näher und zog unwillkürlich den Kopf ein. „Was gibt’s, Katy?“
„Was hast du lauschend an Richis Fenster verloren?“, kam sie ohne Umschweife zur Sache und mir rutschte das Herz in die Socken. „Bist du ein Spanner, oder was?“
„Katy, ich kann das erklären...“, beteuerte ich mit rapide zunehmender Verzweiflung.
„Ach, Manfredo!“, sie knuffte mir wie aus heiterem Himmel spielerisch in die Rippen. Erst jetzt sah ich ganz entgeistert, dass sie grinste. „Denkst du wirklich, es interessiert mich, was ihr Jungs euch wieder für Streiche spielt? Du kleiner Möchtegern-Spion hättest aber lieber mal die Grillsachen kaufen können!“
„Äh, ja, das wollte ich gerade -“
„Nicht nötig!“ Sie hob eine große, pralle Tüte mit dem Logo von Tom Nook darauf, einem angebissenen grauen Blatt. „Hab ich schon erledigt, Mister Bond. Also komm, lass uns endlich grillen!“
Sie packte mich am Arm und zog mich mit zu unserem Vorgarten. Ich folgte ihr nur zu gern, erleichtert, dass sie im Gegensatz zu mir nicht gesehen hatte, wie Vanessa Richis Haus verließ...
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BeitragThema: Re: Manfredo's Tagebuch: 39. Kapitel   Manfredo's Tagebuch: 39. Kapitel EmptyFr Jan 06, 2012 2:13 am

endlich hab ichs mal gelesen (: Good job *daumen hoch halt*
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BeitragThema: Re: Manfredo's Tagebuch: 39. Kapitel   Manfredo's Tagebuch: 39. Kapitel EmptyFr Jan 06, 2012 11:37 am

danke Very Happy
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